Jüdisches Leben sichtbar gemacht

Lebhaft wurde die Erinnerung an jüdisches Leben in der Region durch die Vorstellung einzelner jüdischer Familien auf der Fachtagung der Lokalhistoriker. Fotos: Per Bergmann

Mit seiner Jahrestagung hat das Zentrum für Regionalgeschichte am Wochenende jüdisches Leben sichtbar gemacht.

Gelnhausen – Die Referenten waren sich einig, dass die Form der Erinnerungskultur nach wie vor wichtig ist, auch über 80 Jahre nach dem schwersten Verbrechen der Menschheitsgeschichte, dem Holocaust.

Die einleitenden Worte in der Sport- und Kulturhalle Meerholz lieferten Landrat Thorsten Stolz (SPD) und Gelnhausens Bürgermeister Daniel Christian Glöckner (FDP). Nach der Eröffnung schlossen sich mehrere Vorträge und Führungen am Nachmittag an. Stolz untermauerte, wie wichtig es ist, jüdisches Leben und damit auch „Erinnerungskultur sichtbar zu machen“.

An Menschen, die die Wichtigkeit unserer „Erinnerungskultur 80 Jahre nach dem Krieg anzweifeln“, wandte sich Stolz mit einem Zitat des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker: „Wer aber vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart.“

Glöckner erinnerte sich daran, dass er als 16-Jähriger Stadtführungen in Gelnhausen leitete. Schon damals habe er eine „Faszination für das Judentum“ empfunden. „Gelnhausen war früher ein Zentrum jüdischen Lebens in der Region.“

Vor rund 80 Gästen referierte Erhard Bus im Anschluss „Zur Geschichte des Landjudentums in der Region Hanau bis 1866“. Der Historiker aus Nidderau-Windecken erinnerte an sogenannte Judengassen, die schon im 17. Jahrhundert daran zu erkennen gewesen sein, dass sie „deutlich enger als andere Straßen waren“. Eine Ghettoisierung jüdischer Menschen habe es damals auch in seiner Heimat Windecken gegeben. Bus schilderte einen Vorfall, bei dem Juden in Windecken um 1833 ihr Recht durchsetzten, sich – wie alle anderen Einwohner des Ortes – mit Holz aus dem Bürgerwald zu versorgen. Das führte kurzerhand zu „pogrom-ähnlichen Vorgängen“, bei denen „mit einem Male auf ein gegebenes Zeichen ganze Rotten mit Äxten bewaffneter Frevler vor die Häuser der hiesigen Judenschaft“ zogen und randalierten, wie die „Hanauer Zeitung“ damals über die Verbrechen und antisemitischen Übergriffe berichtete.

„Juden waren von Gesetzes wegen Bürger zweiter Klasse bis weit ins 19. Jahrhundert“, erklärte Bus. Mit Blick auf diesen weitverbreiteten Antijudaismus habe Langenselbold eine Ausnahme dargestellt. Dort habe das jüdische Leben „förmlich floriert“, zumindest seien im 19. Jahrhundert „deutlich weniger jüdische Familien weggezogen“, als in anderen Städten in der Region.

Christine Raedler vom Zentrum für Regionalgeschichte referierte über „Jüdisches Leben in Gelnhausen und Formen einer Erinnerungskultur“. Auch in der Barbarossastadt gab es früher eine Judengasse und ein jüdisches Ghetto. Erst um 1833 seien das Wahlrecht und weitere Grundrechte für Juden eingeführt worden, was nach und nach zu einem Zuzug jüdischer Familien geführt habe.

Etwas mehr als 100 Jahre später wurden hier „viele Gelnhäuser Juden im Holocaust ermordet“, so Raedler, die während ihres Vortrages kurzzeitig um Fassung ringen musste. Sie erinnerte in ihrem Vortrag vor allem an die Gelnhäuser Pogromnacht im Juni 1938, in der „Hunderte vor jüdische Häuser zogen und mit Steinen warfen“. Weil den Juden im Nationalsozialismus die „wirtschaftliche Grundlage entzogen“ wurde, konnten viele nicht weiter als nach Frankfurt fliehen, von wo aus viele in Konzentrationslager deportiert wurden.

Raedler empfindet die Bereiche des jüdischen Lebens in Gelnhausen, die heute noch zu sehen sind als „großes Geschenk“. Wichtig sei auch die Erhaltung von Quellen und Nachweisen aus der damaligen Zeit, „um nachvollziehen zu können, was damals genau passiert ist“.

VON PER BERGMANN

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