Die schönen Künste melden sich zurück in der Brüder-Grimm-Stadt Steinau Wiedererwachen der Kultur

Gelungene Premiere: Sören Leyers, Detlef Heinichen und Marcel Wagner in „Das letzte Autogramm – Hommage an Johnny Cash“. Foto: Andrea Euler

Ein letzter Vorhang. Ein letztes Drehen des Schlüssels – sei es im Theatrium am Steinauer Kumpen oder in der Tür des Brüder-Grimm-Hauses am Amtshof nur wenige Meter entfernt. Dann ist Ruhe. Monatelang.

Steinau – Das Marionettentheater schließt am 16. Oktober 2020 für eine unklare Zeit der Ungewissheit, das Museum wenige Tage später am 2. November. Inzwischen, nach sieben bis acht Monaten Zwangspause, sind beide Einrichtungen wieder geöffnet – und Theaterleiter Detlef Heinichen und Museumsleiter Burkhard Kling stehen vor der Herausforderung, das Wiedererwachen der Kultur in dem knapp 11 000-Seelen-Ort zu begleiten und zu entfachen.

„Wir sind richtig gut durch die Sache gekommen“, urteilt Detlef Heinichen rückblickend. „Wir haben viel gelernt, Sachen gemacht, die wir noch nie gemacht haben. Und es gab vom Land Hessen und vom Bund gute Unterstützung. Projekte wie heute wären ohne Förderung überhaupt nicht möglich gewesen.“

Das „Projekt heute“ ist die Premiere von „Das letzte Autogramm – Hommage an Johnny Cash“. Es ist eine Kombination aus Schauspiel und Figurentheater, inszeniert auf einer kleinen Bühne vor dem Marstall direkt neben den Theaterräumen. Marcel Wagner, Detlef Heinichen und Sören Leyers lassen das Leben des Countrysängers und Songschreibers lebendig werden. Die mitreißende Live-Musik sorgt dafür, dass das rund 70-köpfige Publikum nach wenigen Takten mitwippt, sich von der von Höhen und Tiefen geprägten Lebensgeschichte Cashs einnehmen lässt. Die Stimmung ist gelöst, die Gäste sind erkennbar froh, wieder ein solches Programm genießen zu dürfen auf den weiß lackierten Stühlen, die mit Abstand an den grün bedeckten Bierzelttischen platziert sind, diese wiederum mit Schwimmkerzen stimmungsvoll beleuchtet und von bunten Lampions illuminiert.

Heinichen freut sich zwar darüber, dass es nun wieder losgeht. Aber er sieht auch Probleme: „Machen wir uns nichts vor: Wenn die Wahl vorbei ist, wird es mit den Fördermitteln anders aussehen, zumal wir jetzt auch noch diese große Flutkatastrophe haben, die viel Geld kosten wird.“

Und er beobachtet: „Wenn die Leute sagen, sie freuen sich auf Kultur, sie sind ausgehungert – dann vielleicht nach einem Bierchen im Biergarten. Das Thema Kultur haben andere übernommen. Meist im digitalen Bereich. Netflix etwa. Ich sehe das an mir: Ich bin selbst zum Serienjunkie geworden. Und ich sehe die Gefahr, dass das als Restkultur bestehen bleibt.“ Was Heinichen sich wünschen würde, „das wäre so ein ganz normaler Kulturbetrieb wie vor der Pandemie.“ Kinder- und Gruppenvorstellungen gebe es derzeit gar keine. Für das laufende Programm habe er verschiedene Fördertöpfe „angezapft“, bei einem Zusammenschluss von Theaterleuten aus ganz Deutschland würden in monatlichen digitalen Treffen Tipps und Ratschläge zu Programmen und zur Antragstellung ausgetauscht.

Für Netzwerker Heinichen eine wichtige Hilfe, denn: „Diese Antragstellerei ist Fluch und Segen zugleich. In den letzten Wochen hat sich bei mir die Excel-Tabelle öfter geöffnet als der Theater-Vorhang.“ Ein Verzagen erlaubt sich der Theaterchef nicht: Jetzt wird am Winterspielplan gearbeitet, in der Hoffnung, dass dieser auch wirklich umgesetzt werden kann.

Auch wenn sich zunächst auf der Bühne nach der langen Pause ein „Fremdkörpergefühl“ eingestellt habe, er sich auf die veränderte Situation habe einstellen müssen: „Nach kurzer Zeit ist alles wieder da. Und man sagt sich: So. Jetzt könnt´s auch wieder richtig weitergehen.“

Die Erfahrungen von Museumsleiter Burkhard Kling weichen in verschiedenen Punkten von denen Heinichens ab: „Die Resonanz nach der Wiedereröffnung ist großartig. Ohne große Werbung gemacht zu haben, kamen die Menschen sofort wieder, und wir hatten jetzt seit dem 1. Juni 1400 Gäste.“ Während des Lockdowns habe es immer wieder Anrufe von Interessierten gegeben, die fragten, ob sie nicht doch „heimlich“ ins Museum dürften. Ein Zuschuss, der vom Main-Kinzig-Kreis in diesem Jahr floss, konnte in die „Neuplanung“ des Jahres gesteckt werden. Ansonsten gelte es, genau zu planen, wie und mit welchen Veranstaltungen möglichst viele Gäste erreicht werden können.

„Aber wir sehen: Die Menschen wollen in die Museen, und wir sind gesellschaftlich verpflichtet, gerade in Zeiten wie den jetzigen entsprechende Angebote zu machen. Museen haben eine hohe soziale Bedeutung.

Die Menschen haben eine Zeit ohne Kultur erlebt, haben oft gelitten, und ich hoffe, dass es nun um so deutlicher wird, dass wir Kultur brauchen.“ Digitale Angebote seien wichtig und hätten gezeigt: „Wir sind da.“ Aber die Konfrontation mit den Originalobjekten sei eben doch etwas ganz anderes. Aktuell ist die Ausstellung „Ursuppe, Bretterbühne und Märchenschloss“ zu den Bühnenbildern des Bad Orber Künstlers Christof Heyduck zu bewundern.

Und die derzeitigen Lockerungen „haben es sogar möglich gemacht, dass wir unser beliebtes Märchenspiel im Rahmen des Kinderkultursommers doch noch einstudiert haben“, freut sich Kling. Er wünscht sich für die Zukunft „ein stärkeres Augenmerk auf die Kultur gerade im ländlichen Raum.“

Für „Madam Amélies Rätselhafte Märchen-Revue – Ein Märchenspiel für die ganze Familie nach den Brüdern Grimm“ gibt es ebenso wie für „Das letzte Autogramm – Hommage an Johnny Cash“ noch weitere Aufführungstermine.

Weitere Informationen Internet unter www.kultursommer-hessen.de/Kinderkultur.html oder www.theatrium-steinau.de.
anp