Fünf Schwestern – ein Ziel

Nachhaltige Kleidung, die nicht nur gekauft, sondern auch gemietet werden kann. Jutta Eckert präsentiert in ihrem Laden eines der vielen Unikate. Foto: Andrea Euler

„Es waren einmal fünf Schwestern. . .“ Wollte man über die fünf „Eckert-Schwestern“ ein Märchen schreiben, es müsste wohl so anfangen. Und tatsächlich ist es eine nahezu märchenhafte Geschichte, wie es dazu kam, dass die fünf doch sehr unterschiedlichen Frauen, die zwischen 51 und 64 Jahre alt sind, nun gemeinsam einen Laden betreiben.

Wächtersbach – Keinen alltäglichen Laden, das kommt noch dazu. „Taumelbuntes“ heißt das kleine Geschäft in der Wächtersbacher Altstadt, in dem handgefertigte Unikate aus gebrauchten Materialien verkauft und auch vermietet werden. Ein Angebot, das in der Region seinesgleichen sucht.

Dabei gibt es auf den ersten Blick kaum eine Überschneidung in den privaten und beruflichen Interessen der fünf Frauen, wenn man davon absieht, dass sie alle als Hausgeburten von ihrer Mutter Gertrud zur Welt gebracht wurden: Karin kümmert sich als pensionierte Lehrerin um Geflüchtete, liest gerne und hält sich gerne draußen in der Natur auf.

Jutta ist Betriebswirtin, engagiert sich im Ortsbeirat, bringt in ihrer Freizeit Yoga, Nordic Walking und ihren Garten unter einen Hut. Monika als Verwaltungsfachangestellte zieht es in ihren freien Stunden auf Heavy-Metall-Festivals, auf Reisen rund um die Welt – und gern auch ans Zeichenbrett. Beruflich vielseitig orientiert ist Rita, die zunächst als Malerin und Lackiererin arbeitete und dann noch eine Ausbildung zur IT-Kauffrau dranhängte. Der handwerklich sehr begabten Frau ist zu Hause keine Aufgabe zu groß: Egal, ob die Waschmaschine repariert oder im Garten eine Teichanlage gebaut werden soll. Ahnenforschung, Kunst und Philosophie sind weitere Steckenpferde. Kerstin schließlich ist examinierte Krankenschwester – und aktive Feuerwehrfrau. Sie liebt es, zu dekorieren. Und kümmert sich mit Hingabe um ihre beiden Katzen und die zwei Schildkröten, die bei ihr leben. Elf Kinder und drei Enkelkinder komplettieren inzwischen die Familie.

13 Jahre trennen die jüngste von der ältesten Schwester. Früher musste Karin als die Älteste oft auf die jüngeren Geschwister aufpassen und „Oma“ Lisa Höhn unterstützen. Und obwohl in der Jugendzeit die Interessen und Freundeskreis voneinander abwichen, „im Prinzip sind wir immer auf einem Haufen geblieben“, wie es Jutta formuliert.

Einzige Ausnahme: Rita, die es vor 17 Jahren ins Bayerische zog, um der Arbeit ihres Mannes willen. Und prompt war es auch genau dort, wo die ersten Pläne für einen Internet-Laden heranwuchsen. „Rita sagte, sie strickt und strickt – und braucht das gar nicht alles“, erinnert sich Monika an ein Zusammentreffen.

Ein Besuch im Ankleidezimmer offenbart: „Da war alles voller toller Sachen, hauptsächlich gestrickt.“ Das Nähen und Stricken – bei der Familie Eckert liegt es quasi im Blut. Erste Kenntnisse gab es von der Oma, außerdem kam seinerzeit „eine Schneiderin ins Haus, die hat für die Oma ein Kleid genäht. Das war faszinierend. Sieben Mark und ein Essen gab es dafür. Und wir haben die Abschnitte bekommen und durften dann auf der Nähmaschine der Oma selbst nähen.“

Die Mutter habe immer gestrickt und tue das bis heute – „das war fast automatisch, dass wir das dann auch konnten.“ Der Blick in den übervollen Kleiderschrank jedenfalls ließ die Idee aufkommen: „Wir machen einen Onlineshop. Das könnte Spaß machen.“ Rita nahm das nicht nur als Geplänkel. Sie setzte sich an den Computer und programmierte einen Shop. Und sagte dann den Schwestern: „Ich bin jetzt fast fertig.“

Und so kam es im August 2018 zur Gewerbeanmeldung, der Shop ging im März 2019 online. Der Name war sofort klar: Da drei der Schwestern erklärte Hesse-Freundinnen sind, stand „Taumelbuntes“ sofort im Raum.

„Wir fanden den Namen alle toll“, sagt Jutta. Die Werbung lief über das Internet, der Shop lief vorerst „eher so nebenher“. Vier Kategorien waren und sind es bis heute: Schmuck, Taschen, Mode und „Buntes“, also etwa Wärmflaschen, Abschminkpads, Ketten für Masken. Für die örtliche „Tafel“ wurde während der Pandemie ein Teil des Umsatzes gespendet, der mit dem Verkauf von Masken erzielt werden konnte. Ein paar Monate waren die Schwestern Teil einer örtlichen Laden-WG, im Sommer vergangenen Jahres begleiteten sie die Kunstroute in der Wächtersbacher Altstadt mit einer Modenschau. Und zum Kunsthandwerkermarkt in diesem Jahr ergriffen sie die Chance, ihren eigenen Laden mitten im Herzen der ehemaligen Brauereistadt zu eröffnen.

Stolz auf ihre Töchter ist Gertrud Eckert. Die 1940 geborene ehemalige Geschäftsfrau weiß selbst, wie es ist, ein Ladengeschäft zu betreiben: Mit ihrem Mann Karlheinz Hermann Karl, Messerschmiedemeister, betrieb sie 20 Jahre lang einen kleinen Laden in der Wächtersbacher Innenstadt – von Mitte der 60er- bis Mitte der 80er-Jahre.

„Wir verwerten alles. Wir sind so erzogen, dass die Sachen einen Wert haben. Bei den Taschen benutzen wir zum Beispiel Möbelstoff, aus alten Herrenhemden nähen wir die sogenannten ‘Statement-Blusen’, die von uns tatsächlich ein Statement für Nachhaltigkeit und Klimaschutz sein sollen“, berichten die Schwestern.

Und für einen kleinen Obolus kann man zahlreiche Kleidungsstücke sogar mieten – und sie ungewaschen wieder zurückbringen. Neue Kleidungstücke kommen den Eckerts selbst nur in ganz seltenen Einzelfällen ins Haus. „Da hängt auch Blut dran. Dass die Deutschen laut Greenpeace im Jahr durchschnittlich 60 Kleidungsstücke kaufen, ist eine ganz große Verschwendung und gründet auf einer schlimmen Ausbeutung“, machen sie auf die oft unsozialen Arbeitsbedingungen in der Bekleidungsindustrie aufmerksam. Die Geschwister sind mit ihrem fairen, nachhaltigen Konzept ihrer Zeit weit voraus: Erst ab 2030 will die EU „Fast Fashion“ verbieten.

VON ANDREA EULER