Eine ganz besondere Disco

Die inklusive Disco, die bis Oktober einmal im Monat im Tanzlokal „Agostea“ stattgefunden hat, wurde von vielen Stammgästen besucht. Seit sie eingestellt wurde, wird sie schmerzlich vermisst. SymbolFoto: dpa

Einmal im Monat konnten bis vor Kurzem Menschen mit Behinderungen ihre Freude am Tanz und der rhythmischen Bewegung im Gründauer Tanzlokal „Agostea“ ausleben. Doch im November war plötzlich Schluss mit diesem speziellen Veranstaltungsangebot, sehr zur Enttäuschung der Menschen mit Handicap.

Gründau/Hanau – Gabi Müller-Reus liebte es schon immer, zu tanzen. Aber als die Freigerichterin eine Lähmung im Rücken erlitt, konnte sie ihre Beine nicht mehr bewegen. „Ich musste alles wieder neu lernen“, sagt sie. „Das Laufen und auch das Tanzen.“

Glücklicherweise, erinnert sie sich, gab es im Gründauer „Agostea“ einmal im Monat eine ganz besondere Disco: Jeden ersten Donnerstag im Monat, von 19 bis 21.30 Uhr, war ein Tanzraum für Menschen mit Behinderung, ihre Begleiter und Freunde offen. „In einer Disco mit normalem Publikum hätten mich alle blöd angeguckt, als ich das Tanzen geübt habe. Aber hier war das nicht so“, sagt sie.

Es hätte viele Besucher gegeben, die sich Monat für Monat auf die Veranstaltung gefreut hätten: „Manche der Menschen mit Behinderungen haben ihre große Liebe dort getroffen und sie haben dann auch einmal unter der Woche Zeit gehabt, den Liebsten oder die Liebste zu treffen.“

Andere freuten sich, Bekannte zu treffen, die in anderen Schulen oder Einrichtungen sind. Manche kamen selbstständig, andere wurden von Bussen gebracht, die innerhalb der Wohngruppen organisiert wurden. Aber im November war plötzlich Schluss. Denn der Pächter des Agostea, Helmut Peter, ging in Rente. Er hatte die Reihe gemeinsam mit dem Lebmal-Club der Lebenshilfe Gelnhausen vor 14 Jahren ins Leben gerufen, mit freiem Eintritt und nur 2,50 Euro Mindestverzehr. Und wer Hunger hatte, konnte sich an einem Snack-Büfett bedienen, das Peter auf eigene Kosten anbot. Bis zu 200 Besucher trafen sich dort vor Corona. Und nach zwei Jahren Pandemieflaute hätte der Zuspruch auch wieder langsam zugenommen, so Müller-Reus.

Mit Wilhelm Kaiser und seiner WK Event GmbH hat nun ein neuer Betreiber das Ruder übernommen. Und Kaiser scheint kein Interesse mehr an einer solchen Veranstaltung zu haben, berichtet Gerald Zipf vom Lebmal-Club. „Wir hatten viele Gespräche“, so Zipf. Es sei hier auch um eine „abgespeckte“ Version gegangen, eine ohne Büfett. „Das müsste von uns aus wirklich nicht sein.“ Auch ein Sponsor habe sich nach Angaben Zipfs angeboten, der jede Veranstaltung mit 500 Euro bezuschussen wolle.

Aber Kaiser habe durchblicken lassen, dass er die Veranstaltung nicht mehr durchführen möchte. Auf eine direkte Anfrage unserer Zeitung reagiert der neue Betreiber nicht. „Es gab ganz viele Tränen“, sagt Zipf. „Schließlich war das eine ganz einmalige Veranstaltung für die Gäste.“ Gabi Müller-Reus verfasste auf die schlechte Nachricht hin einen Leserbrief, der unter anderem über Facebook lief. Er enthielt einen Aufruf an den „Agostea“-Betreiber, die Reihe nicht zu beenden. „Er wurde über 300-mal geteilt“, sagt sie. „Und er bekam etliche Likes.“

Der Lebmal-Club würde die Reihe gerne weiterführen, lässt die Gespräche mit dem „Agostea“ nicht abreißen.

Allerdings hat sich auch eine andere Perspektive aufgetan: Die Tanzschule Mundt in Hanau kam kürzlich auf Zipf zu. Sie ist sehr daran interessiert, die Reihe zu übernehmen. „Ich biete Tanzkurse für Menschen mit Behinderung an“, sagt Geschäftsführer Marius Hildenbeutel. „Das macht eine Menge Spaß und ich kann mir auch eine Tanzveranstaltung gut vorstellen.“

Im Vorfeld seien allerdings noch einige Dinge zu klären. Zum einen müsse es betriebswirtschaftlich passen, so Hildenbeutel. Probleme mache derzeit auch die Parkplatzsituation in der Hanauer Innenstadt, vor allem, weil die Besucher oft in Gruppen mit mehreren Sprintern gebracht werden. Zipf und Hildenbeutel hoffen auf Hilfe der Stadt, beispielsweise mit zeitweisen Reservierungen der Stellplätze. Dass es in der Tanzschule keine ausgewiesenen Behindertentoiletten gibt, ist in Zipfs Augen kein Ausschlusskriterium. „Wir können uns das auch sehr gut vorstellen.“

VON CHRISTINE SEMMLER