Mehrheit für Kreisfreiheit

Historisch: Am 14. Juli um 10.14 Uhr stimmt die Mehrheit der Kreistagsmitglieder für die Auskreisung Hanaus aus dem Main-Kinzig-Kreis. Foto: Yvonne Backhaus-Arnold

Es ist ein historischer Tag, sagt Klaus Schejna. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Heiko Kasseckert spricht von einer Zäsur an diesem Vormittag im Kreistag in Gelnhausen.

Region – Zur Abstimmung gerufen wird der Grenzänderungsvertrag zur Auskreisung der Stadt Hanau aus dem MKK. Das Land Hessen hatte sich schon nach Bekanntwerden der Hanauer Pläne 2018 dafür ausgesprochen, dass die beiden Parteien, also Kreis und Stadt, das Auseinandergehen regeln. Die Zustimmung der Kreistagsmitglieder fällt – anders als in Hanau, wo das Parlament zuletzt im Mai einstimmig für die Kreisfreiheit votiert hatte – nicht geschlossen aus. Die SPD, CDU, Teile der Grünen und Heinrich Geis (fraktionslos) sind für den Antrag; Freie Wähler, FDP, AfD und ein Fraktionsmitglied der Grünen dagegen. Der Abstimmung vorausgegangen war eine rund einstündige Aussprache, in der Lob an der Vorarbeit der Verwaltung und Zustimmung zur Kreisfreiheit genauso geäußert wurden wie Bedenken.

Landrat Thorsten Stolz (SPD), der den Grenzänderungsvertrag im April in den Kreistag eingebracht und seinerzeit ausführlich erläutert hatte (wir berichteten), verweist auf 35, vor allem redaktionelle, Anmerkungen des prüfenden Regierungspräsidiums Darmstadt, die noch hätten eingearbeitet werden müssen. Dies sei geschehen, müsse am Montag aber auch in der Stadtverordnetenversammlung in Hanau noch einmal formal beschlossen werden. Stolz spricht von fairen und guten Beratungen im Haupt- und Finanzausschuss (HFA), der seit April dreimal getagt hatte. Diesem Lob schließen sich auch die späteren Redner an.

Die größte „Blackbox“ (Michael Göllner, Vorsitzender des HFA) bleibt der Kommunale Finanzausgleich, Dieser wird 2026, also erst nach Hanaus Kreisfreiheit, neu geregelt. „Wir erwarten von dieser Neuordnung zielgerichtete Lösungen“, so Klaus Schejna. Der Bürgermeister der Gemeinde Rodenbach und SPD-Fraktionsvorsitzende im Kreistag unterstreicht erneut, dass die 28 Städte und Gemeinden des MKK, mit 320 000 Einwohnern dann der zweitgrößte Kreis in Hessen, finanziell nicht schlechtergestellt werden dürften durch Hanaus Kreisfreiheit. „Der Grenzänderungsvertrag“, so Schejna, „ist ein guter. Hier gibt es keinen Gewinner und keinen Verlierer. Wir bleiben zwei starke Stimmen in der Region. Der Ball liegt jetzt beim Land.“

Dr. Wolfram Maaß von der AfD erinnert an das Jahr 1974, in dem sich die Stadt Hanau und die Kreise Gelnhausen und Schlüchtern zum Main-Kinzig-Kreis zusammengeschlossen haben. Der mehr als 100-seitige Vertrag zur Auskreisung zeige, was in diesen 50 Jahren alles entstanden sei. Maaß nennt die Auskreisung „einen nicht zeitgemäßen und unnötigen Akt“. Eigentlich wäre eine demokratische Legitimierung nötig gewesen, so das AfD-Mitglied, zum Beispiel Bürgerentscheide in den Städten und Gemeinden. „Aber das ist vom Gesetzgeber ja nicht vorgesehen.“

Reiner Bousonville erinnert an das Bestreben seiner Heimatstadt Erlensee, mit Neuberg, zu fusionieren. „Durch handwerkliche Fehler der Protagonisten ist es seinerzeit nicht gelungen, die Menschen zu überzeugen“, teilt der Fraktionsvorsitzende der Grünen einen verbalen Tiefschlag gegen den Bürgermeister Stefan Erb aus Erlensee und die damalige Neuberger Bürgermeisterin Iris Schröder aus.

Bousonville, dessen Fraktion sich bis auf eine Stimme für die Auskreisung aussprach, lobt die transparenten und offenen Gespräche im HFA, und er lobt auch, dass es künftig weiter Zusammenarbeit geben werde, zum Beispiel beim Thema Gesundheit (siehe Box). „Es ist Zeit, einen Schlussstrich unter ein Thema zu setzen, das uns jetzt schon fünf Jahre lang beschäftigt hat.“

Carsten Kauck, Fraktionsvorsitzender der Freien Wähler, nennt den Weg „falsch“. Es bringe Prestige für Hanau, sei aber eine Abkehr von Strukturen, „die unsere Großväter geschaffen haben“, eine „Rückkehr zur Kleinstaaterei“, eine „Zerschlagung der bewährten Zusammenarbeit“. Es würden, so Kauck, Doppelstrukturen aufgebaut, die betriebswirtschaftlicher Unsinn seien. „Und über allem schwebt der KFA, von dem wir heute noch gar nicht wissen, was er 2026 bringen wird.“

Heiko Kasseckert indes zeigt sich sicher, dass die Kommunen des Kreises „nicht schlechtergestellt werden“. Auch in der CDU-Fraktion habe es kontroverse Diskussionen gegeben. Kreis und Stadt seien in den vergangenen 50 Jahren gemeinsam gewachsen. „Ich bin mir sicher, dass der MKK stark bleibt und weiter eine positive Entwicklung nehmen wird.“

Für Andreas Müller von der Linken bleiben zwar viele Unbekannte, aber es habe keinerlei Gegenöffentlichkeit oder Widerstand in der Bevölkerung gegeben, stattdessen sogar eine einstimmige Entscheidung in Hanau. „Wir respektieren das Votum der Linken dort und werden zustimmen“, so Müller.

Die Liberalen im Kreis sehen das anders. Auch für Kolja Saß von der Kreis-FDP bleibt der KFA der Knackpunkt. „Wir hoffen also im Nachhinein auf den KFA und das Land Hessen? Wo kommt das Geld für die über 100 neuen Stellen mehr her?“, fragt Saß. Solange nicht klar sei, dass die Mehrkosten nicht durch die 28 verbliebenen Städte und Gemeinden gezahlt werden müssen, können wir nicht zustimmen. Das Risiko ist einfach zu hoch.“

Nach einer Stunde Debatte gibt es dann zwar eine Mehrheit für die Trennung von Hanau und dem MKK, aber auch viel Kritik – auf jeden Fall mehr als erwartet.

Auch politisch bleibt die Entscheidung nicht ohne Folgen: Wie unsere Zeitung aus gut unterrichteten Kreisen erfuhr, hat Hanaus FDP-Chef Henrik Statz, der die Abstimmung zur Kreisfreiheit gemeinsam mit Ex-Stadtrat Thomas Morlock als Zuschauer verfolgt hatte, sein Amt im geschäftsführenden Vorstand der FDP Main-Kinzig niedergelegt.

Der weitere Fahrplan

Das Land Hessen muss nach der Konstituierung des neuen Landtags im Januar 2024 ein Gesetz zur Kreisfreiheit der Stadt Hanau erlassen. Dies kann mehrere Monate in Anspruch nehmen. Kreis und Stadt werden ab sofort aber schon auf Sachebene weiterarbeiten.

VON Y. BACKHAUS-ARNOLD