Seltene Schätze im Radiomuseum

Radiokenner: Wolfgang Ruf, Vorsitzender des Radio-Museums Linsengericht (links), und Schriftführer Hans Jörg Vogler. Fotos: Patrick Scheiber

Etwa 500 historische Radioempfänger aus den 20er bis 60er Jahren beherbergt das Radio-Museum Linsengericht. Ob Propagandainstrument des NS-Regimes oder Kofferradio made in Offenbach: Die Ausstellung lädt ein zu einer einzigartigen Reise durch 100 Jahre deutsche Rundfunkgeschichte.

Linsengericht – Die Reise in die Vergangenheit führt über eine knarzende Holztreppe. Stufe für Stufe führt sie nach oben, bis ins Dachgeschoss der ehemaligen „Alten Schule“ in Altenhaßlau. Früher lebte hier der Hausmeister. Heute ist es das Reich des Radio-Museums Linsengericht. Mehr als 500 historische Radioempfänger stehen in den Ausstellungsräumen, außerdem Plattenspieler, Tonband- und Fernsehgeräte sowie Messtechnik.

Zwischen Regalen und Vitrinen steht Wolfgang Ruf, Vorsitzender des Vereins. „Dann wollen wir doch mal ein bisschen Musik hören“, sagt er, vor sich das „Music-Center 5001“. Ein 28 Kilo schweres Gerät aus dem Hause Schaub-Lorenz, eckig, puristisch, dunkles Holz, typisch für das nordische Design der 60er Jahre. Der Clou ist das eingebaute Tonbandgerät. Auf 126 Spuren kann das Gerät insgesamt 46 Stunden Musik aufnehmen, vom Radio direkt auf Band.

Ruf drückt kräftig auf den weißen Kunststoffknopf, um das Gerät anzuschalten. Nicht immer klappt es auf Anhieb. Doch das Music-Center läuft. Ein langsames Drehen am großen Knopf in der Mitte der runden Skala, um die Spur zu wechseln. Dann, nach kurzer Suche, erklingt ein Schlager, aufgenommen vor mehr als 50 Jahren in einem bundesdeutschen Wohnzimmer.

Der Gang durch die Ausstellung ist eine Zeitreise durch 100 Jahre deutsche Rundfunkgeschichte, angefangen von den ersten Detektoren sowie einfachen Röhrenempfängern über die Zeit des Dritten Reiches bis hin zur Nachkriegszeit und der Einführung der Ultra-Kurz-Welle (UKW). „Die Radioempfänger aus deutscher Produktion zählten damals zu den Glanzpunkten vieler Wohnzimmer, nicht nur in Deutschland und Europa, sondern weltweit“, erzählt Ruf und deutet auf ein Regal mit Kofferradios aus der Nachkriegszeit, echte Schmuckstücke mit Holzgehäuse, Messingverzierung und dem typischen, beige-karierten Schallwandstoff. „Damals haben sich die Hersteller noch viel Mühe gegeben“, sagt Hans Jörg Vogler, langjähriges Mitglied und Schriftführer des Vereins.

In den 30er und 50er Jahren gehörten Radios made in Germany zur Weltspitze. Mehr als 30 Hersteller gab es. Heute sind sie restlos vom Markt verschwunden. Firmen wie Graetz, Saba, Tefi oder Wega gingen bankrott oder die Radioproduktion wurde nach der Übernahme eingestellt. So erging es auch Akkord-Radio. 1948 in Offenbach gegründet, machte sich die Firma, die im Stadtteil Bieber fertigte, mit tragbaren Kofferradios einen Namen. Besonders erfolgreich: Das Modell „Offenbach“, das es in einer Standard- und einer Luxusausführung gab: einmal mit Gehäuseüberzügen aus echtem Leder, eine Reminiszenz an die Lederstadt Offenbach, und einmal mit Kunstlederbezug. Im Radiomuseum Linsengericht steht die Standardversion, das „Offenbach 53“, ein Kofferradio bestückt mit vier kleinen Röhren, etwa fünf Kilo schwer und mit einem Originalpreis von 288 DM erschwinglich.

In einer anderen Liga spielt das „Supraphon 52“ aus dem Hause Schaub, das einen Raum weiter steht. Der sogenannte Superhet-Empfänger mit 15 Röhren wiegt stolze 34 Kilo und kostete mit einem Originalpreis von 1750 DM so viel wie ein halber VW-Käfer. „Das Besondere ist das Plattenspieler- und Magnettonteil, eine Kombination eines konventionellen Plattenlaufwerks mit Saphirabtaster und einem Drahtton-Gerät“, erklärt Ruf.

Statt eines üblichen Magnetbandes bedient sich das Gerät eines Stahldrahtes von gerade mal 0,09 Millimetern Stärke. „Hier ist knapp eine Stunde Musik drauf“, sagt Ruf und hält die Sieben-Zentimeter-Drahtspule in die Höhe. Das Gerät, das bei seiner Vorstellung 1952 als „vielseitiges Heimstudio“ vorgestellt wurde, ist sein Lieblingsausstellungsstück. „Die technischen Lösungen sind bis heute bemerkenswert.“

Zu den wohl bekanntesten Modellen gehört der Volksempfänger „VE 301.“ Das schlichte schwarze Gerät kam 1933 auf den Markt und war ein wichtiger Baustein der NS-Propaganda. „Damals wurden alle deutsche Radiohersteller verpflichtet, den Volksempfänger in hohen Auflagen zu produzieren“, erzählt Vogler. Durch den erschwinglichen Preis wollten die Nationalsozialisten sicherstellen, dass ihre Propaganda möglichst direkt in die deutschen Wohnzimmer gelangt. Am günstigsten war der „DKE“, der Deutsche Kleinempfänger, genannt „Goebbels Schnauze“, den es bereits für 35 Reichsmark zu kaufen gab.

Doch das Museum, dessen Sammlungsgröße und -vielfalt hessenweit einzigartig ist, zeigt auch extrem seltene Exponate. „Das hier ist wohl eine der ersten Musiktruhen“, sagt Ruf und zeigt auf einen aufwendig gearbeiteten Holzschrank, der Radiogerät und Schallplattenspieler vereint. 1928 wurde das Kombigerät gebaut, der Modellname ist unbekannt. „Wir haben noch niemanden gefunden, der dieses Gerät kennt“, sagt der Vorsitzende. Dass der Verein die Rundfunk-Rarität überhaupt zeigen darf, ist der Witwe eines verstorbenen Mitglieds zu verdanken. Sie schenkte dem Museum das Gerät. Andere Stücke sind Scheunenfunde oder konnten bei Haushaltsauflösungen vor dem Container gerettet werden.

Bis ein solches Fund- zum Ausstellungsstück wird, ist es ein langer Weg. Der Verein hat deshalb 2019 eine eigene Abteilung ins Leben gerufen: In der Radioklinik kümmern sich etwa zehn Mitglieder ehrenamtlich um die technische Aufbereitung und Wiederherstellung historischer Radiogeräte. Nicht nur Exponate der Ausstellung, auch Geräte von Besuchern werden jeden Freitagabend im Museum repariert, von 19 Uhr bis oft spät in die Nacht. Vier Werkstattplätze hat der Verein nach und nach eingerichtet, denn die Nachfrage ist groß und der Aufwand immens. „Bei manchen Geräten dauert die Reparatur locker ein halbes Jahr“, erzählt Ruf, der „Chefarzt“ der Radioklinik. Bei der Wahl der Patienten ist der Verein allerdings streng: Repariert werden in erster Linie Radios mit Röhren. Moderne Transistorgeräte müssen ebenso draußen bleiben wie Stereotürme, Toaster oder Staubsauger.

Etwa 300 Röhrenradios haben die Mitglieder des Trägervereins in den vergangenen vier Jahren repariert, schätzt Vogler. Unentgeltlich, größtenteils in ihrer Freizeit. Die Sammlung und Restaurierung historischer Geräte ist wichtigstes Ziel des Vereins. So steht es in der Satzung. Mindestens genauso am Herzen liegt es den Mitgliedern, ihr Fachwissen weiterzugeben. „Glücklicherweise haben wir ein paar Jugendliche gefunden, die wirklich Freude dran haben, die historische Technik zu lernen“, erzählt Ruf. „Wie sonst sollen die antiken Rundfunkgeräte erhalten und gepflegt werden, wenn es am Wissen fehlt.“

Im Jahr des 25-jährigen Vereinsbestehens blickt der Vorstand positiv in die Zukunft. Allein in diesem Jahr sind 15 neue Mitglieder hinzugekommen, etwa 70 sind es insgesamt. Sie alle eint die Begeisterung für das Röhrenradio und die tiefe Überzeugung, dass die Oldies aus den 50er und 60er Jahren nach fachgerechter Restaurierung nicht nur besser aussehen als ihre kurzlebigen Plastikkollegen aus Fernost. Glaubt man den Vereinsmitgliedern, übertrifft der Klang des Röhrenradios bis heute jeden Transistor. „Es ist am Ende wie mit Schallplatte und CD. Der Klang ist nicht perfekt, manchmal knackt und rumpelt es. Aber es ist nie steril, sondern warm und besonders“, schwärmt Vogler.

Das Radiomuseum: Im November 1998 gründeten sieben Freunde den Verein „Die Ohrwürmer“ mit dem Ziel, ein Radio-Museum zu eröffnen. Im Dezember desselben Jahres wurde das Museum im Dachgeschoss der „Alten Schule“ eröffnet. 1999 wurde der Verein in Radio-Museum Linsengericht umbenannt, seit Februar 2000 ist das Museum ein eingetragener Verein. Die Radioklinik öffnet jeden Freitag von 19.30 bis mindestens 22 Uhr in den Räumen des Radio-Museums, Florianstraße 6-8 (Haus der Vereine) in 63589 Linsengericht. Repariert werden Geräte mit Röhren aus den 20er bis 60er Jahren. Radiobesitzer bezahlen lediglich die Materialkosten, zudem freut sich der Verein über eine Spende.

Für Besuche oder Führungen ist das Radio-Museum Linsengericht an Sonntagen (ausgenommen Feiertage) zwischen 14 und 17 Uhr geöffnet. Bei größeren Gruppen wird um vorherige Anmeldung gebeten.

Für weitere Informationen sind die Vereinsmitglieder erreichbar unter z 06051 7869569 und 06643 799962 sowie per E-Mail an webmaster[at]radioklinik[dot]de.

Weitere Informationen auch im Internet unter www.radio-museum. de.

Von Kristina Bräutigam

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