„Wir investieren Zeit und Hingabe“

Das Lieblingsexponat von Wolfgang Ruf im Radiomuseum ist das „Supraphon 52“. Foto: Andrea Euler

Im privaten Rundfunkmuseum in der Alten Schule in Altenhaßlau sind mittlerweile knapp 600 Exponate von Radios über Plattenspieler und Tonbandgeräte bis hin zu Fernsehgeräten und Messtechnik von 1923 bis 1990 zusammengetragen worden.

Linsengericht – Wolfgang Ruf ist die Begeisterung anzumerken: Der 74-Jährige zieht eine Schellackplatte hervor und legt sie auf den Plattenteller des „Supraphon 52“. Das Kombi-Gerät, das ein Radio mit nachgerüstetem UKW-Empfang mit einem Plattenspieler und einem Drahttongerät verbindet, ist sein Lieblingsexponat im Radiomuseum Linsengericht, dessen Vorsitzender Ruf seit dem zurückliegenden Sommer ist. Etwa 1750 Mark hat das außergewöhnliche Stück gekostet, als es zwischen 1951 und 1953 von der Firma Schaub auf den Markt gebracht wurde. „Sie können sich vorstellen, dass es davon bei dem Preis nicht allzu viele gab“, sagt Ruf schmunzelnd.

Er selbst hat in dieses einzelne Stück „bestimmt 100 Stunden Arbeit reingesteckt. Die Mechanik war im Eimer, das Gehäuse kaputt“, berichtet der gelernte Mechaniker, der sich später zum Elektrotechniker weiterbildete. Bei Ebay hat er das Liebhaberstück gefunden. „Etwa die Hälfte der Ausstellungsstücke im Museum ist funktionstüchtig“, aktuell seien die Aktiven jedoch „im Verzug“. Denn seit dem zurückliegenden Sommer haben andere Arbeiten Priorität: Die Gründer und langjährigen Vorstandsmitglieder Gudrun und Bernd Weith schieden aus dem Vorstand aus, „eine Ära ging zu Ende“, wie Ruf es formuliert. Die Fortsetzung der Arbeit in Corona-Zeiten ermöglichte es, „einmal eine grundlegende Bestandsaufnahme zu machen“: Da ging es zum einen um die Ausstellungsstücke, zum anderen aber auch um die von der Gemeinde kostenfrei zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten. Wände, Decken, Fußböden – vom Keller bis zum Dach wurde alles einer kritischen Betrachtung unterzogen, ein Kostenrahmen erstellt. Die elektrischen Leitungen mussten neu verlegt werden. „Da kamen die Zuschüsse von der Gemeinde Linsengericht und vom hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst natürlich zum passenden Zeitpunkt“, wie Vereinspressesprecher Hans Jörg Vogler erläutert.

Zusätzliche Einnahmen brachte die „Radioklinik“: „Da dürfen uns Menschen ihre Radios bringen, und wir reparieren sie. Wir verlangen nur die Teilepreise, die Arbeitsleistung wird nicht berechnet. Aber wir freuen uns natürlich über Spenden.“ Und solche werden von den Liebhabern der Radios nur zu gern gegeben, wenn das geliebte Gerät nach einer Kur in der Klinik wieder funktioniert.

„Wir haben schon etwa 150 Exemplare repariert“, berichtet Ruf, allein 30 davon seien „im Homeoffice“ in Ordnung gebracht worden, wurden also von Vereinsmitgliedern zu Hause repariert. Etwa zehn „Schrauber“ sind an den Geräten dran, das gemeinsame Reparieren, bei dem sich „vor Corona“ die Aktiven freitags schon zur Mittagszeit trafen und oft bis um Mitternacht an den Radios arbeiteten, fehlt der Truppe laut Ruf sehr.

Er selbst hat besondere Freude an den Geräten, an denen sich manch anderer schon die Zähne ausgebissen hat. „Ich kann mich nicht an einen Fall erinnern, wo Wolfgang nicht als Sieger vom Platz gegangen ist“, zollt Vogler dem „Chefarzt“ Respekt. Da gab es beispielsweise ein Röhrenradio von Mende aus der Vorkriegszeit. „Das stand schon mal im Wasser, das Gehäuse wurde zwar aufgepeppt, aber da war noch Arbeit zu leisten. Da hat ein Laie dran rum gebastelt, und einen Schaltplan gab es nicht. Da waren Teile drin, die es erst 15 bis 20 Jahre später gab“, erinnert sich Ruf.

Und „es ist eine Herausforderung, wenn die Mäuse an den Spulen geknabbert haben. Wenn bei einer Spule mit 300 bis 400 Windungen die ersten 100 weggefressen sind, muss man überlegen.“ Mechanische Teile habe er oft neu hergestellt, Kondensatoren aus der Röhre geholt, Teile getauscht und das Ganze optisch wieder so eingearbeitet, dass es aussieht wie früher. „Pro Kondensator dauert das etwa eine Stunde, bei 30 Kondensatoren hat man dann zu tun“, schmunzelt Ruf. Um so viel Zeit und Hingabe zu investieren, wird Begeisterung benötigt. „Fernseher turnen mich ab“, sagt Ruf, schon als kleiner Junge habe er sich für Radios interessiert. „Radios haben erstmals die Möglichkeit eröffnet, über große Distanzen ohne Zeitverlust zu kommunizieren“, fügt Vogler hinzu.

„Schon die Nazis haben das erkannt: Radio ist Faszination. Mit dem Volksempfänger fing es an, das war das Faszinosum für mehr als eine Generation. Bei der Fußball-WM in Bern 1954 haben alle am Radio gesessen.“ Für Ruf zählt zudem, dass „insbesondere bei den alten Radios auch noch das Handwerk zu sehen und nachvollziehbar ist. Bei den alten Geräten ist Handwerk, ist Geschick, das hat ein Flair – wie eine Kutsche.“

Über 60 Mitglieder zählt der Verein, aber Hilfe kommt auch von anderen. „Das ist eine super Gruppe, es sind so viele fleißige Helfer, die bei der Sache sind“, zeigen sich Ruf und Vogler begeistert. „Da macht der Bruder eines Mitglieds den Schreiner – das ist schon toll. Und wenn jemand zwei Wochen Urlaub hat und die Zeit hier verbringt, das ist doch was Besonderes.“

Bis zum Frühling sollen die Renovierungsarbeiten fertig sein und das Museum wieder Besucher empfangen können. Jeden zweiten und vierten Sonntag im Monat dürfen sich Gäste dann in dem verwinkelten Gebäude die neu sortierten Exponate anschauen. „Wir wollen das zeitlich anordnen: sehr alte Stücke, dann die Zeit bis zum Krieg, nach dem Krieg und schließlich die Moderne“, wie Vogler erklärt.

VON ANDREA EULER