Steigende Defizite im Klinikbereich

Main-Kinzig-Kreis – Multimorbidität, so bezeichnet man es in der Medizin, wenn ein Patient unter mehreren Krankheiten leidet. Nun jedoch krankt das System selbst, genauer gesagt, das Finanzierungssystem der deutschen Kliniken. „Wir sind Rahmenbedingungen ausgesetzt, die in der aktuellen Situation in keinster Weise funktionieren“, schlagen Landrat Thorsten Stolz und Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky (beide SPD) Alarm. Vor dem Hintergrund erwarteter Millionendefizite kommunaler Krankenhäuser senden sie ein deutliches Zeichen nach Berlin.

„Das System der Vergangenheit schlägt jetzt mit voller Wucht zurück“, stellen Stolz und Kaminsky fest. Bereits für 2022 würden für die Main-Kinzig-Kliniken sowie das Klinikum Hanau jeweils Defizite von bis zu fünf Millionen Euro erwartet. Noch dramatischer stelle sich die Prognose für 2023 dar: Hier müsse von Defiziten von 18,8 Millionen Euro (Main-Kinzig-Kliniken) beziehungsweise 15 Millionen Euro (Klinikum Hanau) ausgegangen werden. Kaminsky: „Deutschlandweit können 96 Prozent der Krankenhäuser ihre Kosten nicht mehr aus den laufenden Einnahmen decken, es drohen im ganzen Land Klinikinsolvenzen.“

„Wir stecken fest in einem leistungsorientierten Vergütungssystem, in welchem die Mehrzahl der Kliniken die erforderliche Leistung aber de facto nicht mehr erbringen kann, weil das Patientenwachstum schlicht und einfach endlich ist“, erklärt Stolz. In der Zeit vor der Corona-Pandemie sei es den Kliniken gelungen, durch zunehmende Patientenzahlen ausreichend Erlöse zu generieren, um Preissteigerungen auszugleichen und stabile Jahresergebnisse zu erzielen. Während der Pandemie wurden die sinkenden Einnahmen bei gleichzeitigem Mehraufwand durch Ausgleichszahlungen weitgehend aufgefangen. Doch diese Phase sei nun vorbei: „Wir sehen uns wieder mit den Finanzierungsvorgaben konfrontiert, die bis 2019 galten – ohne Rücksicht darauf, dass diese überhaupt nicht mehr in die Realität der Jahre 2022 und 2023 passen“, so der Landrat. Für die Kliniken bedeute das, dass sinkenden Einnahmen stetig steigende Ausgaben gegenüberstehen. Die Corona-Zulagen und der Ganzjahresausgleich entfallen. Gleichzeitig seien die stationären Patientenzahlen rückläufig – einerseits aufgrund bürokratischer Limitierungen, andererseits durch zunehmende Personalengpässe in nahezu allen Bereichen, insbesondere im ärztlichen und Intensivbereich. „Als wäre dies nicht genug, haben die Krankenhäuser massive Kostensteigerungen zu verkraften, die keinesfalls adäquat gegenfinanziert werden“, erklärt Stolz. Das Problem: Im Vergleich zu anderen Branchen dürfen Kliniken die gesteigerten Kosten nicht an die Kostenträger weitergeben, denn die Preise für erbrachte Leistungen sind staatlich reglementiert.

Immerhin habe die Regierung einen Ausgleich der Energiekostensteigerungen angekündigt, räumt Stolz ein. Dieser dürfe jedoch nicht den Blick darauf verstellen, dass der massive Anstieg der allgemeinen Sachkosten für die meisten Kliniken aus wirtschaftlicher Sicht deutlich gravierendere Auswirkungen habe. Gleiches gelte für die Vorhaltekosten, die dadurch entstehen, dass Kliniken eine hochqualitative Rund-um-die-Uhr-Versorgung sicherstellen, sowie die steigenden Personalkosten.

„Alles in allem haben wir ein toxisches Gemisch im Hinblick auf die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Kliniken“, so Kaminsky. Die Verantwortung hierfür dürfe nicht auf die Kommunen abgewälzt werden.

Der Landrat: „Wir stehen hinter unseren Kliniken und haben durch Defizitausgleich und Eigenkapitalerhöhung einen Kraftakt geleistet, um ihnen finanziell unter die Arme zu greifen.“

Nun sei jedoch ein Punkt erreicht, an dem die Ampelkoalition in Berlin nicht die Augen vor der Realität verschließen dürfe: „Die zu erwartenden Defizite der kommunalen Krankenhäuser sprengen das Bisherige. Zudem ist es gegenüber den dauerbelasteten Mitarbeitenden nicht mehr vermittelbar, dass Kliniken und Eigentümer auf einer hohen Kostensumme sitzen bleiben und die Probleme auf dem Rücken derjenigen ausgetragen werden, die mit höchstem Engagement und unter schwierigen Bedingungen die Versorgung aufrechterhalten.“ Um den Herausforderungen zu begegnen, sei bundesweit eine systematische Umgestaltung der Krankenhauslandschaft nötig. Ein kalter Strukturwandel, wie er sich momentan abzeichne, sei nicht zielführend, sind sich Stolz und Kaminsky einig, Dieser gehe zulasten der Bevölkerung und der Beschäftigten. Weder eine Einschränkung des Versorgungsauftrags noch ein Personalabbau in den Kliniken könnten im Sinne einer guten Patientenversorgung der Region sein. Stolz und Kaminsky wollen sich klar positionieren: „Wenn wir weiterhin kommunale Krankenhäuser haben wollen, dann muss Berlin jetzt helfen.“
upn