Kann der Wald das Klima retten?

Förster Markus Betz rechnet vor, was der Wald zur Klimarettung beitragen kann. Foto: Ziegert

Revierförster Markus Betz ist täglich in den Freigerichter Wäldern unterwegs und spricht in diesem Interview über den Wald als Klimaretter.

Herr Betz, gleich ganz direkt gefragt: Kann der Wald das Klima retten?

Markus Betz: „Der Wald kann sicher nicht allein von sich aus das Klima retten, wenn die Menschheit ihren Klima belastenden Lebensstil fortsetzt und nicht schnell zu einer Ressourcen schonenden Wirtschafts- und Lebensform findet. Hinsichtlich einer umweltgerechten Daseins- und Produktionsweise könnten sich die Menschen allerdings am Wald ein Beispiel nehmen. Denn im Waldökosystem findet eine vorbildliche Kreislaufwirtschaft statt, in der nichts verschwendet wird.“

Und wenn Waldbesucher gerodete Flächen oder Schneisen sehen, brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen?

Betz: „Diese Sorgen sind im ökologischen Wirtschaftswald vollkommen unbegründet. Ganz im Gegenteil! An vielen Stellen kann man schon kurze Zeit nach den durchgeführten Holznutzungen, die ja das Ziel der Ernte des nachwachsenden Rohstoff Holz verfolgen, feststellen, dass nach dem waldökologischen Nutzungsprinzip ‘pflegen durch nutzen’ neue Arten- und Strukturvielfalt entsteht. So hat etwa die vor Kurzem durchgeführte Durchforstung der monotonen Kiefernbestände oberhalb der Horbacher Kneippanlage schon jetzt zu einem Blütenparadies für Insekten einschließlich der Honigbienen geführt. Und all das ohne Einsatz chemischer Gifte oder irgendwelcher Pestizide!“

Immer mehr Menschen verfeuern in ihren vier Wänden Holz in Kaminöfen, trägt das nicht auch zur Reduzierung der Waldflächen bei?

Betz: „Nicht in unseren heimischen Wäldern und nicht im Rahmen unserer naturnahen Forstwirtschaft. Die ökologische Waldbewirtschaftung kennzeichnet sich ja gerade durch ein Gleichgewicht zwischen Ökologie und Ökonomie aus. Denn nur was ökologisch ist, das heißt, im Einklang mit den anzutreffenden natürlichen Potenzialen steht, kann langfristig ökonomisch erfolgreich sein. Im Übrigen wird bei unserer Waldwirtschaft nur Holz zu Heizzwecken aufgearbeitet und bereitgestellt, das als Koppelprodukt während der Holzernte anfällt und nicht zu höherwertigen Sortimenten verarbeitet werden kann. In diesem Zusammenhang muss noch betont werden, dass trotz der Holznutzung gleichzeitig auch der Anteil an Biotopholz selbst mit starken Dimensionen kontinuierlich zugenommen hat.“

Was genau bedeutet „naturnahe Forstwirtschaft“?

Betz: „Naturnahe Forstwirtschaft orientiert sich eben genau an diesen abgestimmten und eingespielten Stoffkreisläufen der Natur. Die Kenntnis dieser natürlichen bio-geologischen Prozesse bilden das Fundament einer ökologischen Waldbewirtschaftung. Einmal durch gesicherte naturwissenschaftliche Grundlagen auf den Gebieten der Waldbiologie und der Standortökologie. Zum anderen ist der Erkenntnisgewinn aus der genauen Beobachtung der fortlaufenden dynamischen Prozesse im jeweiligen Waldökosystem von höchster Bedeutung. Hier geben sogenannte Charakter- und Weiserarten aus der Pflanzen- und Tierwert wie auch das Vorkommen ökologischer Strukturelemente ursprünglicher Wälder sichere Orientierung. Gleichermaßen helfen hier die über viele Jahrzehnte gesammelten Erkenntnisse aus der Ökosystemforschung in Wäldern und das Wissen über die Abläufe natürlicher Lebensraumentwicklungen.“

Es ist immer die Rede vom Wald als Kohlendioxidspeicher. Über welche Mengen reden wir da?

Betz: „Da kommt eine beachtliche Menge zusammen! Mit den aus der Anatomie des natürlichen Rohstoffes Holz bekannten chemischen und physikalischen Werten kann man mit einigen Rechenschritten recht einfach und doch ziemlich genau herleiten, wie viel CO2 im Wald gespeichert ist. Holz besteht ja zu 50 Prozent aus Kohlenstoff. Aus diesem Kohlenstoffanteil kann man sich dann mit den atomaren Masseneinheiten von Kohlenstoff (C) und Sauerstoff (O) über die Formel des Kohlenstoffdioxidmoleküls (CO2) den Faktor zur Hochrechnung des im Holz fixierten Kohlenstoffdioxids herleiten. Dieser Faktor beträgt im Übrigen 3,67. Über die sogenannte Darrdichte der jeweiligen Baumarten je Kubikmeter (m³) Holz und die im Wald stehende Baummasse, ermittelt und ausgedrückt in sogenannten Vorratsfestmetern (= m³ Holz) lässt sich nun durch einfache Multiplikationen die Kohlenstoffdioxidbindung der einzelnen Baumarten und auch des gesamten Freigerichter Gemeindewaldes errechnen. Die Höhe der CO2-Fixierung pro Hektar (ha) Gemeindewaldfläche beträgt für den Baumbestand danach 460 Tonnen (to). Hinzu kommt die CO2-Bindung der Waldböden, die nach den aktuellen Werten der Kohlenstoffinventur noch einmal mindestens 100 to/ha Waldboden betragen. Also eine CO2-Fixierung von deutlich über 550 to pro Hektar und im gesamten knapp 1.300 ha großen Gemeindewald mit einer Baumbestandsfläche von 1.230 ha eine Bindung von fast 700.000 Tonnen CO2. Wird schließlich noch im Rahmen des jährlichen, natürlichen und nachhaltigen Zuwachses Holz geerntet, möglichst viel davon zu langlebigen Produkten weiter verarbeitet und das dabei anfallende qualitativ schlechtere Holz energetisch als Ersatz fossiler Energieträger genutzt, erhöht sich die Kohlenstoffsenkenfunktion und die klimawirksame Vermeidung des Treibhausgases CO2 noch einmal um ein Vielfaches.“

Der Naturschutzbund sagt: Oftmals kostet die Ernte des Holzes mehr, als der Verkaufswert bringt. Was halten Sie dagegen?

Betz: „Richtig ist, dass der nachwachsende und wertvolle Rohstoff Holz oft viel zu billig ist. Das gilt besonders in Zeiten eines großen Anfalls an Schadholz, dessen Mengen dann zusätzlich auf einen ohnehin übersättigten Markt drücken. Zu diesen Ereignissen haben aber gerade die klimatischen Entwicklungen in den vergangenen 25 Jahre beigetragen und eben nicht die Förster durch falsche Baumpflanzungen während dieser Zeit. Der Rohstoff Holz wird aber in Zukunft trotzdem immer knapp bleiben und ist gerade für eine moderne Kreislaufwirtschaft und Bioökonomie ebenso wertvoll wie unersetzlich. Und zu guter Letzt bringen möglichst viele und lange genutzte Holzprodukte den klimaschonenden CO2-Speicher ‘Holz’ so richtig zum Tragen.

Im Übrigen käme ja auch niemand auf die Idee, die Produktion ökologischer Lebensmittel einzustellen, nur weil sie etwa momentan im Vergleich mit Produkten aus der Agrarindustrie dem Landwirt zu wenig Erlöse bringen.“

Gefordert werden auch Klimaschutzwälder, die ganz sich alleine überlassen werden. Macht das Sinn?

Betz: „Aus Sicht des Klimaschutzes sind ökologische Wirtschaftswälder, die nachhaltig und im Einklang mit dem Ökosystem Wald möglichst viel Holz nachhaltig und für langlebige Holzprodukte produzieren, mit Abstand der beste Klimaschutz. Ein sich selbst überlassener Wald ist im reifen Stadium zwar ein riesiger Kohlenstoffspeicher, aber gerade keine Kohlenstoffsenke mehr. Hier halten sich dann durch ein Gleichgewicht an Auf- und Abbauprozessen nämlich die CO2-Aufnahme und CO2-Abgabe die Waage.“

In vielen Kommunen werden derzeit Baumpflanzaktionen gestartet. Ist das ein nennenswerter Beitrag zum Klimawandel oder sieht das in der Öffentlichkeit einfach nur gut aus?

Betz: „Da kommt es ganz darauf an, ob es sich um langfristige, waldbauliche Strategien mit den Richtigen, also standörtlich passenden Baumarten handelt oder um singuläre Baumpflanzungen. Wir im Freigerichter Wald jedenfalls ergänzen die vielen Naturverjüngungen - die das Grundgerüst des jungen Baumwuchses auf der Waldfläche stellen - bereits seit über einem Vierteljahrhundert mit zahlreichen Baumarten eines künftigen, klimaplastischeren Waldes. Hierzu gehören etwa Bäume der einheimischen Ahornarten (Berg-, Spitz- und Feldahorn), die Baumhasel, die Esskastanie, die Erle, die Schwarz- und Walnuss, die Eichenarten (Stiel- und Traubeneiche), die Wildkirsche, die Weißtanne und viele andere mehr. Die Verjüngung von Pionierbaumarten, etwa von Aspe, Eberesche und Weide, die beispielsweise wichtige Nährpflanzen von Schmetterlingen und Insekten sind, trägt hier auf natürliche Weise ganz wesentlich zur Förderung des Insektenreichtums im heimischen Lebensraum Wald bei.“

Haben diese jungen Bäume bei anhaltender Trockenheit überhaupt eine Chance?

Betz: „Wenn sich das Klima in Zukunft zunehmend trockener entwickeln würde, hätte das natürlich auch Einfluss auf die Wachstumsmöglichkeiten der einzelnen Baumarten. Ein Blick zurück in die Vegetationsgeschichte zeigt jedoch, dass unter wärmeren Bedingungen, wie sie etwa während der sogenannten Eichen-Mischwaldzeit (6000 bis 2000 vor Chr.) herrschten, unsere Baumarten durchaus noch zurechtkämen, nur eben in anderer Verteilung. Wärmeliebende Arten wie Eichen, würden gefördert, Feuchtigkeit und eher Kühle bevorzugende Arten wie die Buche dagegen würden mehr zurückgedrängt.“

Und wie lange brauchen diese Bäume, um die gewünschte Wirkung zu entfalten?

Betz: „Bei einigen klimaplastischen Baumarten kann das schon recht schnell gehen. So tragen die in diesem Frühjahr gepflanzten Wildkirschen im Freigerichter Wald - trotz der trockenen Witterung in diesem Jahr - schon über Monate ein sattes Grün. Und das vor 25 Jahren im Gemeindewald gepflanzte Edellaubholz wie Ahornbäume und Wildkirschen ist heute schon zu richtigen Jungwäldern erwachsen. Überhaupt wird im Jungwuchs unserer strukturreichen Mischbestände schon heute eine enorme Kohlenstoffmenge gebunden.“

Zum Schluss mal ganz provokant gefragt: Ist das Klima überhaupt noch zu retten?

Betz: „Als FörsterInnen glauben wir natürlich daran. Allerdings müssen die Menschen als Teil von wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gruppen mit einem großen ökologischen Fußabdruck und einer klimabelastenden Lebensweise zunächst ihre Hausaufgaben machen. Geschieht dies, kann auch der Wald eine entscheidende Rolle zur Klimastabilisierung beitragen. In Deutschland und auch hier in Freigericht ist der Wald jedenfalls schon seit Jahren eine enorme Kohlenstoffsenke. Im heimischen Gemeindewald sind im Schnitt bereits über 500 to CO2 je ha Waldfläche festgelegt. Wenn die Gesellschaft in Zukunft möglichst viel Holz nachhaltig aus ökologisch bewirtschafteten Wäldern nutzt, kann die Funktion des Waldes als Kohlenstoffsenke über den Holzproduktspeicher noch weiter erhöht werden.“

Von Andreas Ziegert