Harter Überlebenskampf im Wald

Hier sollen einmal stattliche Eichen stehen: Auf einer Fläche so groß wie ein halbes Fußballfeld hat Revierförster Alexander Zentz sein erstes Naturverjüngungsprojekt gestartet. Im Lauf der Jahre werden starke Jungbäume die schwachen verdrängen. Von Tausenden Sämlingen überleben nur zwei bis drei Dutzend. Foto: Roland Adrian

In seinem Wald ist die Welt noch in Ordnung: Während seine Kollegen im Rhein-Main-Gebiet gegen Hitze, Waldbrände, einen sinkenden Grundwasserspiegel und andere Folgen des Klimawandels ankämpfen, findet Revierförster Alexander Zentz im Gemeindewald Altenhaßlau und dem angrenzenden Staatswald noch eine relativ intakte Flora und Fauna vor.

Linsengericht – „Ich habe mich bewusst hierher beworben, weil ich das Gebiet forstlich sehr interessant finde“, schwärmt er. Seit rund einem Jahr ist der 33-Jährige für die 1800 Hektar Waldgebiet zuständig. Aber auch im saftigen Linsengerichter Wald macht man sich bereit, dem Klimawandel zu trotzen und setzt auf besonders hitzeresistente Baumarten wie den Bergahorn, die Tanne, die Douglasie, die Eiche.

Aber um eine Waldfläche neu zu strukturieren, braucht es weit mehr, als klimafeste Bäume anzupflanzen und dann 50 Jahre zu warten. Denn im Forst herrscht ein harter Überlebenskampf. „Ein Wald ist eben kein Garten“, erklärt der Förster schmunzelnd, während er in seinem Geländewagen über verschlungene Waldwege zu einem 3000 Quadratmeter großen Areal fährt. Hier hat er Tausenden Eichentrieben Platz zum Wachsen reserviert. „Wir führen an dieser Stelle eine Naturverjüngung durch“, sagt er beim Aussteigen. Die Pflänzchen sind ganz natürlich aus herabfallenden Eicheln entstanden. Damit sie Licht und Platz zum Wachsen haben, hat Zentz alte Bäume gefällt.

Zentz schaut an den Alteichen hinauf, die stehen bleiben durften: „Sie sind an den Standort angepasst und trotzen der Trockenheit“, sagt er. Das könne ein Vorteil sein: „Wir hoffen, dass die Altbäume diese Stabilität über die Samen genetisch weitergeben.“

Nur die stärksten Pflanzen werden es schließlich schaffen: Von dem grünen Meer an etwa einjährigen Jungtrieben werden in paar Jahrzehnten nur noch zwei bis drei Dutzend übrig sein. Sie erobern sich den Platz, den sie zum Wachsen brauchen. Zentz’ Vorgänger Ralf Deckendorf, der sich 2022 in den Ruhestand verabschiedet hat, legte schon vor Jahren neue Flächen mit jungen Eichenbäumen an. Diese Investition in die nächste Generation war kein billiges Unterfangen, denn die Pflänzchen wurden in der Forstbaumschule gekauft, für zwischen 80 Cent und einem Euro das Stück. „Da kommt schon was zusammen“, erklärt Zentz, „denn auf einen Hektar kommen rund 10 000 Eichen.“ Allerdings bringt ein ausgewachsener Eichenstamm auch wieder um die 35 000 Euro ein.

Heute haben viele von Deckendorfs Jung-Eichen das Gröbste überstanden, haben bereits Höhe eine stattliche Größe erreicht. Hätte der Förster die frische Saat einfach sich selbst überlassen, wäre wohl nichts geworden aus dem Eichenwald. „Für diese Baumart ist der Konkurrenzdruck durch andere Gewächse besonders hoch“, erklärt Zentz.

Buchen, Fichten und Birken wachsen wesentlich schneller, Adlerfarn und Brombeeren überwuchern Flächen in wenigen Monaten. Und nehmen der langsam wachsenden Eiche das Lebenselixier: Sie braucht viel Licht. Zentz und seine vier Waldarbeiter müssen die konkurrierenden Gewächse in den ersten Jahren regelmäßig entfernen.

Junge Eichen sind offenbar auch eine echte Delikatesse für Rehwild. Schon früh müssen sie vor Verbiss geschützt werden. Und vor Fegeschäden. Rehböcke, so Zentz, rieben sich interessanterweise besonders gerne an seltenen Baumarten wie der Eiche. „Da liegen schon die Zaunelemente“, sagt Zentz. Sie werden in Kürze rund um das Naturverjüngungs-Areal aufgebaut. Der Zaun muss mindestens zehn Jahre stehen bleiben. Größere Bäumchen werden auch durch Einzelschützer aus Kunststoff, Draht oder Holz vor Wildschaden bewahrt.

Und wenn sie dann aus dem Gröbsten heraus sind, lauert schon der Eichenprachtkäfer auf Beute, der besonders gerne hitzegeschwächte Bäume befällt. Da, so Zentz, hilft es nur noch, die kranken Bäume herauszunehmen, um die Ausbreitung des Käfers zu verhindern.

Fakt ist: Die Gestaltung einer vielfältigen Waldstruktur lässt sich nicht übers Knie brechen. Sie braucht viele Jahrzehnte, vielleicht ein Jahrhundert. „Denn schnell geht im Wald gar nichts“, sagt Zentz lachend. An manchen Stellen greift der Förster ein, an anderen lässt er den Dingen seinen Lauf, wichtig ist, die Biodiversität zu fördern. Und so dürfen hier auch weiter Baumarten wachsen, die unter Klimagesichtspunkten eher als Risikopatienten gesehen werden.

Etwa die Birke, eine Pionierpflanze, die auch mit schwierigem Boden zurechtkommt, die Buche, oder die Fichte. Um die Artenvielfalt weiter anzureichern, pflanzt der Förster an Wegrändern wildes Obstgehölz an, lässt Holunder oder Brombeere gewähren. Es ist eine Wissenschaft für sich: „Nicht umsonst heißt das Studium heute Forstwirtschaft und Ökosystemmanagement“, sagt Zentz lachend.

Der Nutzen des Waldes hat sich in den vergangenen Jahrzehnten stark gewandelt. Früher lieferte er schlichtweg Holz. Heute soll er der Erholung dienen, er soll das Klima verbessern, artenreich, schön und sicher sein. Die „Probleme“ des Waldes seien eigentlich nur durch den Menschen definiert. „Für die Natur an sich gibt es keine Probleme“, sagt Zentz. „Es geht immer nur um die Frage, was wir wollen.“

VON CHRISTINE SEMMLER