Zu wenig Kinderärzte im Kreis

Kinderarztpraxen registrieren steigende Nachfragen von Eltern nach Vorsorgeuntersuchungen für Neugeborene, die Versorgung in Hanau und dem Kreis hat sich nicht verbessert. Symbolfoto: Bernd Wüstneck/dpa

Die kinderärztliche Versorgung im Kreisgebiet ist weiterhin unzureichend.

Main-Kinzig-Kreis – Vor gut eineinhalb Jahren hatte sich eine Hanauerin ob der aus ihrer Sicht unzureichenden kinderärztlichen Versorgungen besonders für chronisch Erkrankte in einem „Brandbrief“ an die politisch Verantwortlichen der Stadt Hanau und des Kreises gewandt. Vor allem neu zugezogenen Familien ständen bei der medizinischen Behandlung ihres Nachwuchses oft ratlos da, hieß es. Die Nachfrage dieser Zeitung zum aktuellen Stand führt zum Ergebnis: Die Situation hat sich keinesfalls verbessert.

Von der Stadt Hanau heißt es: „Generell können wir bestätigen, dass immer häufiger auch bei Oberbürgermeister Kaminsky Beschwerden von Eltern eintreffen, die keinen Kinderarzt finden.“ Das spürt auch die Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, die „aktuell mehr Nachfragen nach Vorsorgeuntersuchungen für Neugeborene“ habe. Da diese Leistung nicht zum Versorgungsauftrag der Klinik zähle, müssen Eltern abgewiesen werden, heißt es.

Anders bei der Kinderarztpraxis im Facharztzentrum am Klinikum Hanau. Auch dort registriere man eine „deutlich steigende Nachfrage“. Auffällig sei, dass nicht nur Hanauer Eltern mit ihrem Nachwuchs im Wartezimmer säßen, „sondern aus dem gesamten Umland“, heißt es von der Stadt. Mütter und Väter nähmen mit ihren Kindern weite Fahrten auf sich, „weil sie in anderen Praxen nicht versorgt werden können“.

Gleichwohl vermerkt die Kassenärztliche Vereinigung hierzu, dass es zwischen dem Altkreis Hanau bezogen auf die Versorgungsaufträge (Praxen) kein nennenswertes Ungleichgewicht bestehe. Es gebe jeweils für rund 3100 Personen einen Versorgungsauftrag, heißt es. Im Landratsamt ist dazu kein Kommentar zu hören. Ungeachtet mehrerer Anfragen dieser Zeitung hüllt sich die zuständige Erste Kreisbeigeordnete Susanne Simmler bislang in Schweigen.

Die Kassenärztliche Vereinigung Hessen (KVH) bemerkt für den Kreis: „Die Situation hat sich nicht verbessert.“ Allerdings sei der Mangel an Kinderärzten kein exklusives Problem des Main-Kinzig-Kreises. Bereits 2020 meldete die Deutsche Presse-Agentur nach der Auswertung von Daten des Bundesarztregisters, dass es in Hessen durchschnittlich 8,4 Kinderärzte pro 100 000 Einwohner (Stand 2019) gibt und damit das Bundesland an letzter Stelle rangiere.

Die Spitzenpositionen bei der Versorgungsdichte wurden damals von den Stadtstaaten Bremen mit 14,3 und Hamburg mit 11,7 Kindermedizinern je 100 000 Einwohnern belegt. Der Main-Kinzig-Kreis liegt mit rund 6,3 Kinderärzten pro 100 000 Einwohnern sogar deutlich unter dem Landesdurchschnitt. Laut der KVG sind im Kreisgebiet 27 Kinder- und Jugendärzte (Stand September 2023) tätig. Im Kreisgebiet sollen derzeit knapp 431 000 Menschen leben (Stand Ende 2022).

Nach Darstellung der Stadt Hanau ist obendrein die „kinderärztliche Versorgung der geflüchteten Kinder schwierig“ – und das seit 2016. Für die Mitarbeiter der Verwaltungs- und Sozialarbeit in der Gemeinschaftsunterkunft Sportsfield sei es „immer schwieriger“, Termine zu arrangieren, „da viele Kinderärzte keine Patienten mehr annehmen“.

Seit August dieses Jahres zeichnet sich mit dem DRK eine Verbesserung ab. Es sollen notwendige und verpflichtende Vorsorgeuntersuchungen angeboten werden. Die Sprechstunden sollen durch (kinder-)ärztliches Personal aus kooperierenden Arztpraxen, Ärzten auf Honorarbasis und/oder auf Ehrenamtspauschale erfolgen, heißt es. In den Sprechstunden könne eine Erstuntersuchung und Bedarfsklärung geschehen. Die jungen Patienten würden dann an kooperierende Praxen zur Folgebehandlung weitervermittelt.

Die Stadt Hanau sieht allgemein in Ärztezentren eine Chance, den Versorgungsmangel in der Kindermedizin, aber auch bei anderen Fachdisziplinen zu mildern. Diese Einrichtungen könnten bessere Öffnungszeiten anbieten und die Arbeitslast auf mehrere Schultern verteilen, heißt es. Die Stadt unterstütze daher die Ansiedlung von solchen Zentren. Allerdings: „Wenn keine Fach- und Kinderärzte kommen, dann wird es für eine Kommune schwierig“, heißt es weiter.

Aus Sicht der KVH stellt die berufliche Belastung einen besonderen Aspekt dar. „Die Kinderärzte arbeiten am Limit und die Zahl der jungen Patienten ist eher noch gestiegen“, heißt es von dort. Die Lage werde sich nach Einschätzung der KVH in den kommenden Jahren verschlimmern. Nicht nur an Schulen, im Büro oder in Fabriken gehen bald die sogenannten „Baby Boomer“ in Rente, auch in Kinderarztpraxen.

Allein auf den aktuellen ärztlichen Nachwuchs, der noch in den Universitäten sitzt, zu spekulieren, ist der KVH zu wenig und zu vage. Wer jetzt Medizin studiere, wisse in der Regel noch nicht, wohin seine Spezialisierung einmal laufen werde. „Als Kinderärztin oder -arzt muss man zudem ein bestimmter Typ sein“, heißt es.

Die KVH moniert: „Wir leisten uns, Milliarden in marode Kliniken zu stecken und die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte am langen Arm verhungern zu lassen.“ Außerdem fordert die Interessenvertretung mehr Studienplätze. Die KVH räumt ein, dass dies den jetzigen Kindern nicht helfen wird. Ein Effekt wäre erst in 15 Jahren spürbar, heißt es.

Von Detlef Sunderrmann