Ampelbach / Von Helmut Müller Ei Gude, wie?

Helmut Müller

Ist Ihnen die selbsterfüllende Prophezeiung geläufig? Also ich kannte da mal einen, der sagte, wenn ich mit dem Auto unterwegs bin, stehen alle Ampeln auf Rot. Ich wollte das so recht nicht glauben. Aber gut. Irgendwann fragte ich ihn: Wo fährst du denn heute hin? Prompt kam die Antwort: „Ei uff Hanau!“ Ich: Ei, das trifft sich, da müsste ich heut auch hin, kannst du mich mitnehmen? „Ei, klar!“, kam es zurück. So fuhren wir von der Alten Hanauer Landstraße in Neuenhaßlau Richtung Bahnhofstraße. Dort schaltete die Fußgängerampel bei der Bäckerei auf Rot. „Siehste!“, kam es aus seinem Mund, bevor ich denken konnte. Ich dachte, wenn das so weiter geht, kommen wir in Hanau heute nicht mehr an. Die Bahnhofstraße hat noch drei Ampeln, das sind noch 75 Prozent. Was soll ich sehen?, antwortete ich. „Ei, dass die Ampel alle rot werden, wenn ich komm’!“ Ich sagte nichts, denn die Ampel war schon längst wieder auf grün gesprungen. Der Hintermann hupte. Es ging weiter. Und was soll ich sagen, die große Ampelanlage, Richtung Freigericht und Langenselbold, schaltete, kurz bevor wir dort waren, auf Rot. Jetzt kam: „Siehste, siehste!“ Ich schwieg. Der Hintermann, der eine Frau war, hupte wieder, diesmal energischer. Und so ging es weiter, die Fußgängerampel an der Tankstelle rot, die Ampel zum Nettomarkt auch. Alles mit Gehupe der Hinterfrau. Es hatte sich ein beträchtlicher Stau gebildet. Mir fiel Bodo Bach ein. Der hat gesagt: Stau ist nur hinten blöd, vorne geht’s! Ich hörte ihn nur stammeln: “Siehste, siehste!“ Auch die Ampel am Langenselbolder Bahnhof erwartet uns in Rot. „Jetzt geht’s nach Ampelbach“, hörte ich von der Seite. Ich wäre über die Autobahn gefahren. Ich hatte schon das Ortsschild von Hanau vor Augen. Am Rodenbacher Badesee, die Ampel war grün, rief sie uns zu: „Junge, gib’ Gas, das schaffst du noch!“ Der Junge hörte nicht. Hinter uns immer noch eine beträchtliche Karawane von Fahrzeugen. Ampelbach stand für seinen Namen, alle Ampeln rot. Gefühlt hatte ich die Lösung. Der Mann fährt alle Ampeln so an, dass sie gerade vor ihm auf Rot umschalten. Er muss die Zeitintervalle kennen. Aber warum? Jetzt kam endlich seine Frage: „Warum ist das bei mir so?“ Ich entgegnete: Warum fährst du langsamer als erlaubt? Während er nach einer Antwort suchte, schoss es mir durch den Kopf: Eine selbsterfüllende Prophezeiung ist eine Vorhersage, die über direkte oder indirekte Mechanismen ihre Erfüllung selbst bewirkt. Ein wesentlicher Mechanismus ist, dass derjenige oder diejenigen, die an die Vorhersage glauben, sich so verhalten, dass sie sich erfüllt. Der fährt so langsam, dass sogar die Fußgänger schneller sind und die Ampel noch drücken können, bevor er erscheint. Das ist so einer, denke ich, als die Gegen-Gegenfrage kommt. „Erst du!“ Ich: Der Soziologe Robert K. Merton hätte folgende Antwort für dich parat: Die selbsterfüllende Prophezeiung ist anfänglich eine falsche Bestimmung der Situation, sie verursacht aber ein neues Verhalten, das bewirkt, dass die ursprünglich falsche Auffassung richtig wird. Die vordergründige Gültigkeit der selbsterfüllenden Prophezeiung führt eine Herrschaft des Irrtums fort. Denn der Prophet wird den tatsächlichen Gang der Dinge als Beweis dafür anführen, dass er von Anfang an recht hatte. Er: „Ich versteh nur Bahnhof!“ Ich: Mach weiter so! Ei Gude, wie!