Mehr Demokratie wagen

Prof. Dr. Ralf-Rainer Piesold (FDP),

Der frühere Bundeskanzler und langjährige Vorsitzender der SPD, Willy Brandt, umriss vor mehr als 50 Jahren sein politisches Programm mit diesem Satz und erntete dafür sehr viel Beifall und Anerkennung. Am Anfang einer Regierungserklärung wurde das hohe Gut Demokratie ausdrücklich hervorgehoben. Was würde ein Mann dieses Formates von der aktuellen Diskussion um die Kreistagssitzung des Main-Kinzig-Kreises halten, bei der keine Lösung gefunden wird? Wahrscheinlich nicht viel.

Ein Parlament ist keine beliebige Einrichtung, die man verkleinern, ersetzen oder ganz ausfallen lassen kann. Parlamente sind für unser Staatssystem unverzichtbar. Es ist der Ort, wo Entscheidungen gefällt werden, die für unserem Staat besonders wichtig sind. Deswegen werden sie ja auch durchgeführt. In Hamburg tagt die Bürgerschaft mit mehr als 123 Abgeordneten im ehrwürdigen Sitzungssaal der Hansestadt. In Hanau tagt die Stadtverordnetenversammlung in voller Stärke im CPH. Nur zwei von zahlreichen Beispielen. Die Parlamente tagen, da eben Ersatzlösungen, wie die Übertragung auf den Finanzausschuss nach §30a HKO nur eingeschränkt möglich ist und dessen Entscheidungen sogar nachträglich aufgehoben werden können. Wenn man Parlamentssitzungen ausfallen lässt, heißt das auch, dass Entscheidung, die für eine Stadt wichtig sind, unbestimmt vertagt werden. Das ist nicht haltbar.

Der Vorschlag, das Parlament zu verkleinern, was unter anderem von SPD, Grünen und Linken präferiert wird, basiert auf den Gedanken des Pairings. Dieses wird teilweise dann angewendet, wenn bei knappen Mehrheiten vereinzelt Abgeordnete krankheitsbedingt fehlen. Es ist aber schon häufig gescheitert und basiert auf Freiwilligkeit. Da offensichtlich bei einigen Parteien die Bereitschaft für eine Parlamentssitzung aufgrund des Infektionsrisikos nicht vorhanden war, sollte nun diese Notlösung vollzogen werden. In Anbetracht der Tatsache, dass anderenorts Parlamente tagen und der Ansicht, dass primär Personen und nicht Parteien als Vertreter der Bevölkerung gewählt werden, kam im Main-Kinzig-Kreis kein Pairing zustande. Die FDP hat als einzige Partei darauf hingewiesen, dass Pairing nicht sinnvoll ist und der Ausschuss das Parlament nicht ersetzen kann. Sie hat auch darauf hingewiesen, dass Räumlichkeiten in Wächtersbach oder Hanau vorhanden sind.

Da man voraussichtlich keinen Impfstoff und damit eine absolute Sicherheit vor Covid19 vor dem nächsten Jahr haben wird, müsste man Kreistagssitzungen bis nächstes Jahr ausfallen lassen. Das geht natürlich nicht und ist vollkommen absurd. Der Main-Kinzig-Kreis gibt zurzeit kein gutes Bild in Hinblick auf den Parlamentarismus ab. Mehr Demokratie wagen und auf mehr Parlamentarismus setzen, wäre wohl die richtige Antwort.