Schaufenster für die Geschichte

Erzählen Wissenswertes und Anekdoten rund um die Keramikausstellung: Thomas Janik, Nikolai Kailing und Otto Fiegler (von links). Foto: Andrea Euler

Das Wächtersbacher Schloss beherbergt in einer Dauerausstellung zahlreiche Keramik-Exponate, die die Geschichte der Industrialisierung erlebbar macht.

Wächtersbach – Das Schloss ist ein imposantes Gebäude. Vermutlich errichtet gegen Ende des 12. Jahrhunderts. Auftraggeber: Kaiser Friedrich I., genannt Barbarossa. Die ehemalige staufische Wasserburg, die als Jagd- und Sicherungsanlage für den Büdinger Wald errichtet wurde, ist heute der Verwaltungssitz der Stadt – und beherbergt eine Dauerausstellung, die zum einen die Geschichte des Schlosses und des fürstlichen Lebens anhand der Lebensgeschichte von Fürst Ferdinand Maximilian I. und seiner Frau, Fürstin Augusta, zeigt.

Zum anderen wird beispielhaft anhand der Wächtersbacher Keramik die Geschichte der Industrialisierung dargelegt. Die Ausstellung, die bis auf ein paar Kleinigkeiten komplett ist, soll dauerhaft präsentiert werden und erstreckt sich über drei Geschosse des Schlosses.

Zu sehen ist sie in den öffentlich zugänglichen Bereichen und in den Fluren um den Innenhof. In jedem Geschoss wird ein spezielles Thema intensiver dargestellt.

Rund 200 Exponate gilt es im sogenannten Keramikschaufenster, wie die Ausstellung genannt wird, zu bewundern. Es wird von der Stadt in Kooperation mit dem örtlichen Heimat- und Geschichtsverein betrieben. Erste Führungen gab es bereits in den Sommerferien sowie am Tag des offenen Denkmals. Geplant sind jedoch „in zwangloser Folge“ weitere Führungen, zudem denken die Verantwortlichen darüber nach, ob es nicht auch geboten sein wird, Führungen individuell anzubieten und buchbar zu machen. Die Möglichkeiten richten sich nach der Belegung des Schlosssaals und sind generell auf das Wochenende beschränkt, da wochentags die Räumlichkeiten von der Rathausverwaltung genutzt werden.

90 Minuten dauern die Besichtigungen, die von Heike Horn, Otto Fiegler, Tom Eckert, Thomas Janik und Nicolai Kailing angeboten werden – und jeweils, den persönlichen Interessen und Vorlieben der einzelnen Geschichtskenner geschuldet, auch einen leicht unterschiedlichen Schwerpunkt und Zungenschlag bekommen.

Angeschaut wird indes stets die gesamte Ausstellung, im oberen Stock anfangend. Dank der Barrierefreiheit im heutigen Rathaus ist der Besuch auch für Menschen mit Einschränkungen problemlos möglich. Da gibt es beispielsweise Geschirre, Gemälde und Fotografien, die vom höfischen Leben im 19. Jahrhundert und der Industrialisierung am Beispiel der Wächtersbacher Steingutfabrik zeugen. Ein alter Hebammenkoffer verweist auf das soziale Engagement der Fürstin, die 1885 das kleine Augustenhospital gründete – mit Betten für vier Patienten. Ein besonderes Highlight ist die Uhrensammlung, die gespendet wurde. „Bei der Industrialisierung spielte das Thema Zeit eine besondere Rolle“, wie Nikolai Kailing erläutert. Aufwendig restaurierte und von der Stadt gekaufte Portraits von Augusta und Ferdinand Maximilian sind zu bestaunen. Zur heutigen Kämmerei führt die älteste Tür des gesamten Gebäudes, die sogar in Originalfarbe erhalten ist. „Nur der Türgriff ist modern“, wie Kailing schmunzelnd erläutert.

„Blicke ins Mauerwerk“ zeigen die ursprüngliche Bausubstanz und ermöglichen eine Vorstellung von der Baugeschichte des Schlosses. Im Keller, der jedoch nicht aufgesucht wird, gibt es noch Originalgewölbe aus der Barbarossazeit, wie Informationen auf Holzstelen deutlich machen. Mithilfe von Fotografien aus dem 19. Jahrhundert wird nachvollziehbar, welche Funktion etwa das heutige Vorzimmer des Bürgermeisters oder das heutige Magistratszimmer seinerzeit als Speisezimmer und Kaminzimmer hatten.

Und es gibt kleine Details, die den Charme der Führungen ausmachen: Etwa den Barbarossakopf, der im Innenhof hängt und der der offiziellen Lesart zufolge eben Barbarossa darstellt. Eine individuelle Theorie allerdings besagt, dass es doch eher ein Narr sein könnte – die Hinweise auf die Schellen an den Ohren und die Narrenkappe, die man auf beiden Kopfseiten sieht, seien ja erkennbar.

Für den einen Geschichtskundigen beginnt die Führung gleich im Eingangsbereich, in dem eine alte Gaslaterne aus dem Jahr 1907 aufgebaut ist. Andere hingegen beginnen chronologisch im obersten Stockwerk, dort ist das Thema „die fürstliche Familie als Motor der Industrialisierung am Beispiel der Waechtersbacher Steingutfabrik“ platziert. Video-Installationen ergänzen die Ausstellung mit zusätzlichen Informationen. Und generell: „Es ist zwar ein historisches Gebäude, aber technisch auf dem neuesten Stand. Allein zehn Kilometer Datenleitung nur bei den Netzwerkkabeln sind verlegt worden“, wie Kailing erläutert.

Und sich den kleinen Scherz erlaubt: Die größte Ausstellung im Schloss sei die von Villeroy und Boch: „Hier gibt es überall Toiletten. . .“

Konzipiert hat die Ausstellung der Kunsthistoriker Pascal Heß im Auftrag der Projektträgerin, der Stadt Wächtersbach, der auch die Führer des Geschichtsvereins geschult hat.

VON ANDREA EULER