„Emotionale und soziale Kompetenz entwickeln“

Nur mit Gesten und Leckerlis gelenkt: Im Jugendarrest können junge Straftäter mit Hunden wie Malouk arbeiten, um mehr Kompetenzen zu entwickeln. Fotos: Thorsten Becker

Projekt mit Hunden soll im Jugendarrest von Gelnhausen ein „Türöffner“ sein.

Gelnhausen – Ganz cool gekleidet treten die beiden Jugendlichen aus dem Schatten des Backsteingebäudes. Die Basecap schützt gegen die sengende Sonne. Der junge Mann im roten Sweatshirt dürfte gerade mal 17 Jahre alt sein. Wir nennen ihn Kevin (Name von der Redaktion geändert). Nur mit dem Finger dirigiert er Malouk über Hindernisse hinweg. Der einjährige Labrador folgt brav, als ob er an einer unsichtbaren Leine hängen würde.

„Gut gemacht, aber vergiss die Belohnung nicht“, sagt Angelika Simon. Klar: In seiner Hand hat er ein Leckerli. Malouk freut sich und folgt „Kevin“ weiter über den Parcours, der auf jedem Hundesportplatz stehen könnte. Doch hier, am Bollenweg 3 in Gelnhausen, ist alles etwas anders. Vier Meter hohe Metallzäune umgeben das Gebäude, alle Fenster sind massiv vergittert. Und überall stehen uniformierte Frauen und Männer die – sehr freundlich, aber bestimmt – die Szenerie überschauen.

Es ist die Jugendarrest-Einrichtung, auf deren Freifläche heute die Hunde im Mittelpunkt stehen. Und „Kevin“, den wir nicht mit richtigem Namen nennen, denn der Jugendliche hat ein Recht auf seine Privatsphäre. Warum er jetzt hier sein muss und nicht etwa am Badesee, darüber wird irgendein Jugendrichter zwischen Kassel und Lampertheim entschieden haben.

Und im Urteil stand: Jugendarrest. Der kann zwei Wochenenden umfassen und maximal vier Wochen andauern.

Was er getan hat, danach fragt niemand. Alles, was jetzt zählt ist: Verantwortung lernen und übernehmen, sein eigenes Leben neu überdenken. Dabei sollen Malouk, sowie seine drei Artgenossen Collin, Koda und Louie helfen. Sie und „Frauchen“ Simon bekommen heute prominenten Besuch. Hessens neuer Justizminister Roman Poseck will sich das Projekt „Soziales Training mit Hunden“ persönlich anschauen.

„Ziel des Projekts ist es, dass Jugendliche und Heranwachsende durch die Interaktion mit Hunden emotionale und soziale Kompetenzen entwickeln. Es soll helfen, Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit aufzubauen, eigenverantwortliches Handeln zu üben, Aggressionen abzubauen sowie Verantwortung gegenüber anderen zu übernehmen“, fasst es der Jura-Professor zusammen, der zuletzt Präsident des Oberlandesgerichts Frankfurt und zugleich Präsident des Staatsgerichtshofs war.

Und der Justizminister betont, dass „den jugendlichen Arrestierten durch den Umgang mit den Tieren, erzieherisches Vorgehen und Lernmechanismen aufgezeigt werden, was auch den Aufbau einer Beziehung zu den Hunden einschließen kann.“ Die tiergestützte Arbeit solle ein „Türöffner“ sein – sowohl innerhalb der Einrichtung als auch für den weiteren Lebensweg der Jugendlichen und Heranwachsenden. Daher solle das Pilotprojekt von Gelnhausen Kreise ziehen und bald auch in der Justizvollzugsanstalt Frankfurt III angeboten werden. Der Minister, leger im passenden Sommerblazer gekleidet, verliert keine langen Worte, platziert seine Botschaft, dass unkonventionelle Ansätze zum Erfolg führen können. „Sie stehen hier im Mittelpunkt“, sagt er dann und reicht an Simon weiter, die ehrenamtlich die Rettungshundestaffel Main-Kinzig leitet. Hauptberuflich arbeitet sie ebenfalls hinter dem hohen Zaun – als Geschäftsleiterin des Jugendarrests. Simon hatte die Idee mit der tiergestützten Arbeit, die bereits seit über einem Jahr in Gelnhausen angeboten wird. Auf freiwilliger Basis. „Ich habe nur gute Erfahrungen gemacht, denn die Jugendlichen ziehen mit.“

Mit einem Hund zu arbeiten, sei nicht einfach, meint sie und schaut „Kevin“ und seinem Mitinsassen zu, wie sie Hindernisse überwinden. „Das sieht alles ganz einfach aus – aber da steckt viel Arbeit von beiden dahinter, denn wir arbeiten ohne Gewalt und ohne Befehlston. Nur mit Gesten.“ Daher seien die Hunde für die jungen Straftäter wie „Türöffner“.

„Kevin“ greift derweil in seine Bauchtasche, gibt Malouk ein Leckerli. „Macht sehr viel Spaß“, verrät er, seine Augen strahlen. Vielleicht helfen Malouk & Co. ihm, dass sich die gesicherte Tür des Arrests für ihn öffnet – und nie wieder hinter ihm schließt.

Von Thorsten Becker

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