Main-Kinzig-Kreis testet neues Versorgungsmodell Notarzt am Telefon

Dominik Geupel (links, mit Bart) und Jan Arazi telefonieren während einer Behandlung mit dem Telenotarzt. Rechts oben im Rettungswagen die Kamera, über die sich der Mediziner aus Aachen bei Bedarf zuschalten kann. Foto: Ziegert

Mit Headsets stehen Dominik Geupel und Jan Arazi im Rettungswagen, über den kleinen Knopf im Ohr bekommen die Notfallsanitäter Anweisungen, welche Medikamente sie der Patientin verabreichen sollen. Am anderen Ende der Leitung: Ein sogenannter „Telenotarzt“, über 300 Kilometer entfernt in Aachen stationiert.

Main-Kinzig – Zwei Jahre lang testet der Main-Kinzig-Kreis nun das neue Versorgungsmodell, das vor allem dem Fachärztemangel bei zugleich steigenden Einsatzzahlen geschuldet ist.

In der Pilotphase werden sieben Rettungswagen mit entsprechender Ausrüstung in Gelnhausen, Freigericht, Biebergemünd und Jossgrund eingesetzt. Per Knopfdruck können die Notfallsanitäter mit dem Notarzt in Kontakt treten, der sofort Zugang zu den Vital-Daten der Patienten erhält und sich bei Bedarf auch via Videokamera dazuschalten kann. Beim Arzt in der Leitstelle der Berufsfeuerwehr Aachen soll immer dann angefragt werden, wenn die Fahrzeugbesatzung einen Rat zur Medikation oder zu einem eventuellen Weitertransport in eine Klinik benötigt.

Auf einer Pressekonferenz im Gefahrabwehrzentrum in Gelnhausen wurde am Donnerstag das neue Projekt vorgestellt, das bereits ab Dezember 2018 mit einem Rettungswagen getestet wurde. Im vergangenen halben Jahr wurde von diesem Fahrzeug 99 Mal der Telenotarzt kontaktiert. Mit den bisherigen Erfahrungen zeigen sich die Verantwortlichen zufrieden, laut Günther Seitz, stellvertretender Amtsleiter des Gefahrabwehrzentrums, seien beispielsweise weniger Bagatellfälle in Kliniken gefahren worden. Dr. Wolfgang Lenz, ärztlicher Leiter des Rettungsdienstes, versichert, dass auch zukünftig immer ein Notarzt an der Einsatzstelle vor Ort sein wird, wenn es bereits bei der Alarmierung absehbar sei oder dieser „handwerklich“ tätig werden muss.

Betreiber des Telenotarztwerkes ist das Unternehmen „P3 telehealtcare“ in Aachen. Was verblüfft: Betrieben wird das Projekt über einen Telenotarztplatz, der diensthabende Mediziner ist nicht nur für die sieben Rettungswagen im Main-Kinzig-Kreis, sondern auch für 23 weitere in Aachen zuständig. Zu Wartezeiten soll es laut dem ärztlichen Geschäftsführer Bernd Valentin nicht kommen. „Das rund um die Uhr einsatzbereite Notarztteam in der Leitstelle verfügt über eine jahrelange Erfahrung auf dem Gebiet der Telenotfallmedizin, von der der Main-Kinzig-Kreis natürlich mit profitiert“, ergänzt Dr. Frederik Hirsch, Leiter des medizinischen Qualitätsmanagements bei „P3 telehealthcare“.

Ausgiebig getestet wurde in den vergangenen Wochen auch die Telefonverbindung, die aber auch im manchmal funklochreichen Spessart funktionieren soll.

Pro Jahr kostet der Telenotarzt circa 500.000 Euro, die vollständig über die Krankenkasse refinanzierbar sein sollen. In den vergangenen zehn Jahren ist das Einsatzaufkommen im Main-Kinzig-Kreis von 52.800 auf 71.900 gestiegen, zudem stieg die Bevölkerungszahl auf jetzt fast 420.000 Einwohner. „Wer die steigenden Einsatzzahlen und Anforderungen an die Rettungsdienste kennt, weiß, dass ein Telenotarzt keinen bestehenden Arbeitsplatz gefährdet“, betont Landrat Thorsten Stolz (SPD) bei der Vorstellung des hessenweit bislang einmaligen Projektes. Die telenotärztliche Unterstützung mache den physischen Notarzt auch perspektivisch nicht überflüssig. Überall, wo die notärztliche-handwerkliche Kompetenz gefragt sei, würden Notärzte auch weiterhin wie gewohnt zum Einsatz kommen. Stolz: „Es ist aber ein weiterer Baustein in unserer Versorgungslandschaft, um die Folgen der gestiegenen Beanspruchung der Rettungsdienste etwas abzumildern.“

Von Andreas Ziegert