Radverkehr und Windkraft

Bürgerkommentare, Unfalldaten und Pendelwege sind in den Entwurf mit eingeflossen. Um den Radwegebau zu beschleunigen, trägt der Kreis 50 Prozent des bei Städten und Gemeinden verbleibenden Kostenanteils. Symbolfoto: dpa

Über vier Jahre hat es gedauert, jetzt liegt es vor: Der Kreistag hat das Radverkehrskonzept für den Main-Kinzig-Kreis beschlossen.

Main-Kinzig-Kreis – Ende 2017 hatte die ungewöhnliche Koalition aus CDU, Grünen und Freien Wählern (FW) das Konzept politisch auf den Weg gebracht, das nun durch ein externes Büro erarbeitet wurde. Auch Bürger konnten sich beteiligen: Insgesamt gingen 1954 Nachrichten und Verbesserungsvorschläge von 945 Einzelpersonen zum Radewegenetz im Main-Kinzig-Kreis ein.

Auf Basis dieser Anregungen fand eine Befahrung von 1500 Kilometern des Radverkehrsnetzes statt. Die vor Ort gesammelten Eindrücke sowie die Analyse der vorhandenen Daten, zum Beispiel Unfalldaten oder Verflechtungen von Pendlern, flossen in die Erarbeitung des Netzentwurfs ein. Im Rahmen einer zweiten Online-Beteiligung wurden der Netzentwurf sowie die Maßnahmenvorschläge der Öffentlichkeit präsentiert. Damit bestand erneut Gelegenheit für die Bevölkerung, aktiv Einfluss auf die Entstehung des Radverkehrskonzepts zu nehmen, wovon in Form von rund 1000 Kommentaren, etwa 10 000 „Likes“ und fast 950 „Dislikes“ Gebrauch gemacht wurde.

Im Kreistag herrschte gestern grundsätzlich Zustimmung zum vorgelegten Radverkehrskonzept. Die Grünen, die sich als einzige Fraktion bei der Abstimmung enthielten, forderten allerdings, die Stelle eines Radverkehrs-/Mobilitätsbeauftragten, die jetzt eingerichtet werden soll, nicht zeitlich zu befristen, was abgelehnt wurde. Wie die Grünen forderte Carsten Kauck (FW) die Koalition aus SPD und CDU auf, auch Geld für den Radwegebau zur Verfügung zu stellen und erste Strecken entlang von Kreisstraßen sofort auf den Weg zu bringen.

Kreisbeigeordneter Winfried Ottmann (CDU) verwies auf die Fördermöglichkeiten durch Bund und Land. Um den Radwegebau zu beschleunigen, trägt der Main-Kinzig-Kreis zusätzlich zu den Zuschüssen von Land und Bund 50 Prozent des bei den Städten und Gemeinde verbleibenden Kostenanteils der Maßnahmen. Entsprechende Finanzmittel werden mit dem Doppelhaushalt 2023/2024 bereitgestellt.

Mehr Windkraft- und Fotovoltaikanlagen im Main-Kinzig-Kreis – dieses Ziel wollten die Grünen mit einem Grundsatzbeschluss im Kreistag erreichen. Nachdem Landrat Thorsten Stolz (SPD) gemeinsam mit 16 Bürgermeistern aus dem Kreis vor drei Jahren noch eine gerechtere Verteilung der Windvorrangflächen in Südhessen gefordert hatte, sollte der Kreis nun wieder die Vorreiterrolle übernehmen. Aus Sicht der SPD/CDU-Regierungskoalition hat der Kreis die „klimapolitische Zeitenwende“ allerdings längst eingeleitet.

Auf Antrag der Grünen sollte sich der Kreistag zur Notwendigkeit des Ausbaus von erneuerbaren Energien aussprechen, sich aktiv für den Ausbau von Windkraftanlagen und Fotovoltaik-Parks einsetzen und mit einer Öffentlichkeits- und Informationskampagne Bürgerschaft und Firmen entsprechend informieren. Kreiseigene Unternehmen sollten zudem geplante energetische Sanierungen vorziehen und wo immer möglich Solar- und Fotovoltaikanlagen anbringen, so die Grünen, deren Antrag auch von der Fraktion Die Linke unterstützt wurde.

Der Antrag der SPD/CDU-Koalition verweist hingegen auf den Status quo: So gehöre der Kreis bereits jetzt zu den Motoren der Energiewende in Hessen und die Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien sei überdurchschnittlich. Am Ziel des Landes Hessen, bis 2045 den gesamten Strombedarf aus erneuerbaren Energien zu decken, soll festgehalten werden. AfD-Fraktionsvorsitzender Dr. Wolfram Maaß sieht die Zukunft der Energiegewinnung weiterhin in Atomkraftwerken, die Grünen bezeichnete er hingegen als „Umweltzerstörungspartei“.

Michael Göllner (SPD) sieht bei der Windkraft ein „Vollzugsdefizit“ und daran seien in Hessen auch die Grünen beteiligt. Für Landrat Thorsten Stolz hat der Grünen-Antrag kaum etwas mit der Realität im Main-Kinzig-Kreis zu tun. 8,5 Prozent des Stroms, der in Hessen aus erneuerbarer Energie erzeugt werde, stamme aus dem Kreisgebiet, obwohl nur 6,7 Prozent der Hessen hier leben würden. Dafür sorgen 104 Windkraftanlagen, 30 Wasserkraftwerke, 24 Biomasseanlagen und weit über 10 000 Fotovoltaikanlagen.

Allerdings bleibt Stolz bei seiner Forderung nach einer gerechten Verteilung. Wenn wie aktuell fast 40 Windkraftanlagen auf der Gemarkung Schlüchtern stehen, müsste man die dortigen Bürger verstehen, wenn sie auch andere Kommunen zum Ausbau auffordern.

Für Zündstoff sorgte die Forderung des Grünen-Fraktionschefs Bousonville, dass Landrat Stolz und die Umweltdezernentin und Erste Kreisbeigeordnete Susanne Simmler (SPD) in Freigericht oder Bad Soden-Salmünster, wo gerade über die Windkraftnutzung diskutiert wird, „ihre Leute auf Linie“ bringen sollen. Stefan Ziegler (SPD) wehrte sich dagegen: „Wir brauchen keinen Grünen-Fraktionsvorsitzenden aus dem Kreistag, der uns sagt, wie wir uns in Bad Soden-Salmünster zu verhalten haben.“ Bei der Abstimmung fand der Antrag der Grünen-Antrag schließlich keine Mehrheit, dem Antrag der Regierungskoalition stimmten neben SPD und CDU auch Freie Wähler und FDP zu.

Im Rahmen der Versammlung des Kreistags wurde auch dem ehemaligen Landrat Erich Pipa, der am 17. April verstorben war, gedacht. „Er war ein unermüdlicher Streiter für soziale Gerechtigkeit und einen modernen, zukunftsfähigen Landkreis“, erinnerte Vorsitzender Carsten Ullrich daran, dass Pipa über 30 Jahre lang für den Kreis in der Verantwortung stand.

Ebenfalls Abschied genommen wurde von Hubert Reuter aus Langenselbold. Er gehörte von 2011 bis 2021 der SPD-Kreistagsfraktion an und war am 16. März verstorben.

Gedacht wurde auch dem am 20. April verstorbenen Dr. Gerhard Morlock aus Hanau, der von 1977 bis 1981 der FDP-Fraktion im Kreistag angehörte.

VON ANDREAS ZIEGERT