Freiheit ist kein Geschenk

Heiko Kasseckert (CDU),

Am vergangenen Samstag haben wir zum 30. Mal den Tag der Deutschen Einheit gefeiert. Es war der 3. Oktober 1990, an dem formell das geschah, was Willy Brandt so passend mit den Worten „Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört“ formuliert hatte. Fast ein Jahr zuvor, in der Nacht der Nächte, am 9. November 1989, war das Symbol der Teilung, die Mauer, dieses Schandmal aus Beton und Stacheldraht, das so viel Leid und Unrecht über die Menschen gebracht hat, gefallen. Es war das Volk, das seine eigene Geschichte schrieb. Und es war Bundeskanzler Helmut Kohl, der die Gunst der Stunde nutzte. Helmut Kohl und auch Hans-Dietrich Genscher - unvergessen seine Rede in der Prager Botschaft, die immer noch Gänsehaut auslöst - hatten diese einmalige Chance erkannt und den Mantel der Geschichte ergriffen. Die Chance zur Wiedervereinigung nutzen konnte nur, wer dieses Ziel noch nicht aufgegeben hatte. Das bleibt zu Recht das historische Verdienst des Kanzlers der Einheit, Helmut Kohl. Das vereinte Deutschland steht 30 Jahre nach dem 3. Oktober 1990 gut da, und wir brauchen Vergleiche mit anderen westlichen Demokratien nicht zu scheuen. Im Gegenteil: Ich wüsste kein anderes Land, in dem ich die pandemische Corona-Lage im Moment lieber hätte erleben wollen, wie in Deutschland.

Das, was am 3. Oktober 1990 vollendet wurde, begann im Herbst 1989. Die Geschichten der Menschen erzählen von der ungeheuren Kraft, die sie damals auf die Straßen trieb. Es sind Geschichten von einer Sehnsucht nach Freiheit und Demokratie. Eine Sehnsucht, die sich dann in der friedlichen Revolution Bahn brach - ohne einen einzigen Schuss. Die deutsche Einheit war und ist immer noch ein gewaltiges Werk. Sie ist auch 30 Jahre nach der Wiedervereinigung noch nicht vollkommen, aber der 9. November 1989 und der 3. Oktober 1990 gehören wahrscheinlich zu den glücklichsten Tagen der Deutschen.

Und nicht nur der Deutschen. Die friedliche Revolution von 1989 und die deutsche Wiedervereinigung von 1990 waren der erste Schritt zum Beitritt der mittelosteuropäischen Staaten zur Europäischen Union. Zu einem gemeinsamen und starken Europa, auf dessen Zusammenhalt es heute mehr denn je ankommt. In einer Zeit, in der wir sowohl aus den USA, aber auch aus Asien und Russland, eine zunehmend aggressivere Außenpolitik erleben und sich gewaltige tektonische Verschiebungen der politischen und ökonomischen Machtzentren in der Welt abzeichnen, muss Europa zusammenhalten und sich gegen die Renationalisierungstendenzen einzelner Staaten stemmen. Dabei muss Deutschland mit den großen und kleinen Partnern gemeinsam stark agieren. Ein Deutschland ohne Europa wäre in der Welt nur eine kleine Randnotiz. Deshalb liegt es in unserem Interesse, unsere Freiheit und Demokratie mit und in einem gemeinsamen Europa zu verteidigen. Denn Freiheit ist eben kein Geschenk, nichts, was einem in den Schoß fällt, sondern das, was jeden Tag erarbeitet werden muss.