Die Familie bevorzugt?

Ungereimtheiten bei der Grundstücksvergabe im Baugebiet Mittlauer Weg in Hailer beschäftigen nun die Staatsanwaltschaft Hanau. Foto: Axel Häsler

Der Gelnhäuser Bürgermeister Daniel Christian Glöckner (FDP) hat im Zusammenhang mit Grundstücksverkäufen im Baugebiet „Mittlauer Weg“ im Stadtteil Meerholz Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Hanau erstattet.

Gelnhausen – In dem bereits Mitte Juni an die Ermittlungsbehörde übersandten Schreiben erhebt er schwere Vorwürfe gegen einen ehemaligen Bauamtsleiter, der zugleich auch Geschäftsführer der Stadtentwicklungsgesellschaft Gelnhausen (SEG) gewesen ist.

Dass ein solchen Verfahren anhängig ist, bestätigte gestern der Pressesprecher der Hanauer Anklagebehörde, Dr. Oliver Piechaczek, auf Anfrage unserer Zeitung: „Staatsanwaltschaft und Polizei haben die Ermittlungen aufgenommen.“

Die Strafanzeige bezieht sich auf die Vergabe der Baugrundstücke in den Jahren 2013 bis 2015, Glöckner war damals noch nicht Bürgermeister, Chef im Gelnhäuser Rathaus war der jetzige Landrat Thorsten Stolz (SPD). Eine anonymisierte Abschrift der Strafanzeige liegt auch unserer Redaktion vor.

Auf Nachfrage bestätigte Glöckner, dass er die Strafanzeige gestellt habe. Darüber habe er auch den Magistrat der Stadt in nicht-öffentlicher Sitzung informiert. Als „Kollegialorgan“ seien die Magistratsmitglieder jedoch zur Verschwiegenheit verpflichtet. Die Strafanzeige hat Glöckner „wegen des Verdachts von Täuschungshandlungen und Urkundenfälschung im Zusammenhang mit der Vergabeentscheidung beim Verkauf eines Grundstückes in der Barbarossastadt Gelnhausen“ gestellt. Die von ihm auf mehreren Seiten geschilderten Vorfälle sollen demnach bei einer Aktenrevision am 11. Januar 2022 im Bauamt der Stadt zum Vorschein gekommen sein.

Wie Glöckner in der von ihm verfassten Strafanzeige schreibt, seien geschäftliche Tätigkeiten des ehemaligen Rathausmitarbeiters durch seine Doppelrolle im Bauamt und bei der Stadtentwicklungsgesellschaft „faktisch eins“ gewesen. Und in dieser Funktion soll er dafür gesorgt haben, dass sein Sohn und seine Schwiegertochter in Besitz eines Grundstücks gekommen sind, obwohl sie zuvor nicht am regulären Bewerberverfahren teilgenommen hätten.

Dafür soll der ehemalige Bauamtsleiter im Vergabefahren durch entsprechende farbliche Kennzeichnung zunächst dafür gesorgt haben, dass das später an seine Familienmitglieder verkaufte Grundstück auf dem Flächenerwerbsplan als grau gekennzeichnet war, sodass es für die Bewerber auf der offiziellen Bewerberliste nicht zur Verfügung gestanden habe. Angeblich, weil es für Alteigentümer im Baulandumlegungsverfahren zur Verfügung stehen musste. Durch diese Manipulation habe das Grundstück vor dem Auswahl- und Reservierungsverfahren niemals Bewerbern aus der Liste zur Verfügung gestanden. Glöckner schreibt in der Strafanzeige weiter: „Nach Durchführung des Reservierungsverfahrens und der darauffolgenden Verkäufe an Bewerber mit Reservierung wurde dieses Grundstück nachträglich grün eingefärbt, sodass dessen Eignung für den Verkauf an Bewerber zur Verfügung stand.“

Dieser „Farbenwechsel“ hätte aber zur Voraussetzung gehabt, dass die Käufer vorher ordnungsgemäß am Bewerberverfahren teilgenommen hätten. „Das haben sie aber nachweisbar nicht, denn sie haben lediglich den als Anlage 1 vorgelegten Bewerberfragebogen im Verfahren abgegeben, aber nicht weiter am ordnungsgemäßen Reservierungsfahren teilgenommen“, so Glöckner, der drei „Beweisstücke“ seiner Strafanzeige beigefügt habe: den noch ordnungsgemäß ausgefüllten Bewerberfragebogen, ein mutmaßlich gefälschtes Grundstücksreservierungsformular und eine E-Mail vom September 2015 an das Planungsbüro der Stadt, in dem dieses aufgefordert werde, das besagte Grundstück „als reserviert grün zu kennzeichnen“.

Das Planungsbüro habe noch am gleichen Tag den neu eingefärbten Flächenerwerbsplan direkt an den ehemaligen Bauamtsleiter gemailt.

Ein Fehler soll dem ehemaligen Rathausmitarbeiter bei einer Rückdatierung unterlaufen sein. Als das Risiko einer Entdeckung der vorangegangenen Manipulation zu groß geworden sei, soll er diesen Mangel „deutlich erkennbar und nachgewiesen dadurch behoben, dass er Ende 2019 das Grundstücksreservierungsformular mit dem falsch rückdatierten Datum vom 10.06.2015 im Bauamt mit der Anordnung, diese Urkunde nachträglich in die Vergabeakten einzuordnen, eingefügt hat“.

Und mit ihrer Unterschrift habe seine Schwiegertochter die falsche Urkunde endgültig hergestellt. „Und dabei ist – beiden – der Fehler unterlaufen, dass die Auswahl und Reservierung am 11.06.2015 begonnen haben, sodass einen Tag vorher, am 10.06.2015, eine Reservierung zugunsten der Eheleute (…) überhaupt noch nicht stattgefunden haben konnte“, heißt es in der Strafanzeige weiter. Aufgrund der Unschuldsvermutung werden die Personen nicht namentlich genannt.

„Ich sehe hinsichtlich beider Täter den Tatbestand der strafbaren Urkundenfälschung (... ) als erfüllt an“, mutmaßt der Bürgermeister. Die Urkundenfälschung kann mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft werden. Nach Ansicht von Glöckner seien die Taten nicht verjährt.

Zum Abschluss verweist der Gelnhäuser Bürgermeister auf seine Pflichten als Rathauschef: „Nachdem diese Umstände am 11.01.2022 erst entdeckt und mir bekanntgeworden sind, halte ich es für meine Pflicht, im Interesse meiner Stadt im Wege der Strafanzeige den gesamten Vorfall der Staatsanwaltschaft als Strafermittlungsbehörde zu unterbreiten und (…) Strafanzeige zu erstatten. Hierzu sehe ich mich rechtlich und in meiner Verantwortung als Bürgermeister unserer Stadt verpflichtet“, schreibt er.

VON ANDREAS ZIEGERT