Nichts gelernt? / Von Helmut Müller Ei Gude, wie?

Helmut Müller

Der spanische Philosoph George Santayana (1863-1952) hat es auf den Punkt gebracht: „Wer die Geschichte nicht kennt, ist dazu verurteilt, sie zu wiederholen.“ So halten wir es auch in unserem Leben. Normalerweise, denkt man. Nicht so aber vorige Woche am 5. Februar 2020. Der Tag wird als schwarzer Tag für die deutsche Demokratie in die Geschichtsbücher eingehen. Thomas Kemmerich (FDP) wird dabei mit der kürzesten Amtszeit eines Ministerpräsidenten erwähnt werden. Das Foto, als er vom Faschisten Björn Höcke gratuliert bekam, wird den schwarzen Tag dokumentieren. Kemmerich war mit dem Slogan „Endlich eine Glatze, die in Geschichte aufgepasst hat“ im Wahlkampf unterwegs. Welcher Hohn, hätte er wirklich in Geschichte aufgepasst, dann hätte er eine Wahl mit Stimmen aus der AfD nicht akzeptieren dürfen. Und das ist der historische Hintergrund: Am 8. Dezember 1929 wurde der fünfte Thüringer Landtag gewählt. Bei der Wahl der Landesregierung spielten die sechs Landtagsabgeordneten der NSDAP das Zünglein an der Waage. Sie verschafften der rechtskonservativen Koalition die Mehrheit von 28 Sitzen gegenüber 25 der linken und liberalen Parteien. So kam am 23. Januar 1930 die erste Regierungsbeteiligung der Nazis im Deutschen Reich zustande. Unter Erwin Baum vom Landbund als „Leitendem Staatsminister“ amtierten Wilhelm Frick als Innen- und Volksbildungsminister sowie ein weiterer NS-Staatsrat ohne Ressort. Adolf Hitler hat am 02. Februar 1930 zu den damaligen Mehrheitsverhältnissen erklärt: „Den größten Erfolg erzielten wir in Thüringen. Dort sind wir heute wirklich die ausschlaggebende Partei. Die Parteien in Thüringen, die bisher die Regierung bildeten, vermögen ohne unsere Mitwirkung keine Majorität aufzubringen.“

Damit wurden die Nazis erstmals hoffähig gemacht. Was danach kam, müsste uns allen bekannt und klar sein. Gleichwohl hat in meiner Schulzeit im Geschichtsunterricht die deutsche Geschichte 1932 geendet. Weiter ging es im Jahr 1948 mit Konrad Adenauer. Die zwölf Jahre des „1000-jährigen Reiches“ und die drei Jahre Besatzung wurden ausgeblendet. Die DDR hieß noch Sowjetisch besetzte Zone (SBZ) und Pommern stand zurzeit unter polnischer Verwaltung. Erst unter Kanzler Brandts „Ostpolitik“ ab 1969 wurde das Miteinander in den „Ostverträgen“ geregelt und bestehende Grenzen anerkannt. Ich habe mir diese geschichtsträchtige Zeit von 1930 bis 1948 selbst erlesen und in der Abendrealschule in Frankfurt auch schulisch bearbeitet.

In Berlin haben die Geschehnisse ein Erdbeben in Gang gesetzt und es ist heute noch nicht absehbar, welche Folgen dieser Tabubruch haben wird. Sicher ist, dass CDU und FDP ihr Verhalten gegenüber von Faschisten klären müssen. Dabei müssen sie den Spagat schaffen, Wähler in der Mitte zu halten und rechtskonservative von der AfD zurückzuholen. Was aber auch nicht geht, ist die Bedrohung von Kemmerich, seiner Familie oder anderen FDPlern, egal wo in Deutschland. Gewalt darf keinen Platz in unserer Demokratie haben. Ei Gude, wie!